zm112, Nr. 4, 16.2.2022, (319) begrenzten Materialgüte und wegen der für den ungeübten Behandler schwierigeren Verarbeitbarkeit in einer ungünstigen Kombination („schlechter und teurer“) präsentierten. Dennoch sank in der Bevölkerung zunehmend die Akzeptanz für die bisher üblichen Versorgungsformen. Diese Methode zur Steuerung von Nachfrageimpulsen hatte – so wissenschaftlich fragwürdig sie auch war – entscheidenden Anteil an der Verbreitung der Komposit-Kunststoffe. Die Hintergründe wurden in zwei Gutachten für den Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen der Jahre 1996 und 2002 beleuchtet [Staehle, 1996; Staehle, 2002]. Die Schulungen der Zahnärzteschaft zur besseren Verarbeitung Komposit-Kunststoff-basierter Restaurationsmaterialien wurden notgedrungen intensiviert und durch Honorarsteigerungen begleitet. Entrichtet wurden die Mehrkosten von den Leistungsempfängern, die infolge der entfachten Vergiftungsängste vor Metallen meist gerne dazu bereit waren. „Frugal“ wurden direkte KompositKunststoff-Restaurationen erst später, als man bemerkte, dass sie erfolgreich in ein Terrain eindrangen, das zuvor durch die wesentlich teureren indirekten Versorgungsformen (zum Beispiel Inlays, Kronen) abgedeckt worden war. Als man dann noch daran ging, weitere Indikationsgebiete zu erschließen (zum Beispiel Reparaturrestaurationen, postendodontische Aufbauten, Farb- und Formkorrekturen), wurden sie weltweit nahezu unverzichtbar. Obwohl die Zahnärzteschaft inzwischen über mehr Erfahrungen verfügt, kann die Entwicklung nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Ein kritischer Blick in die Versorgungsrealität macht noch Schwächen von derartigen Restaurationen (Frakturen, Abplatzungen, Verschleißerscheinungen, Randmängel, Randkaries und vieles andere) deutlich. Gleichwohl kann davon ausgegangen werden, dass sich die Anwendungsgebiete weiter vergrößern werden. Für die hier beschriebenen direkten Methoden zum Schließen von Zahnlücken sieht die Situation noch ernüchternd aus. Die oben genannten Ziele (substanzielle Kostenreduktion, Konzentration auf Kernfunktionalitäten, optimiertes Leistungsniveau unter Berücksichtigung der Erwartungen und Bedürfnisse der anzusprechenden Menschen) sind momentan noch keineswegs erreicht. Die Entscheidungsgrundlagen, ob und gegebenenfalls wie ein Lückenschluss erfolgen soll, sind variabel und zuweilen nicht klar begründet [Listl et al., 2016]. Momentan gelten Implantate für den Lückenschluss vielfach als Mittel der ersten Wahl, aber auch andere erfolgversprechende Neuerungen (zum Beispiel Adhäsivbrücken) sind auf dem Vormarsch [Kern, 2017; Yazigi und Kern, 2021]. Zahnverbreiterungen und Zahnanhänger zum Schließen von Zahnlücken bieten in diesem Kontext zwar unzweifelhaft die oben beschriebenen Vorteile, fordern aber ein technisch anspruchsvolles und entsprechend auch zeitaufwendiges Arbeiten durch den Behandler. Das hemmt gegenwärtig die schnelle Verbreitung der konservierenden Methoden zum Lückenschluss. Die Situation könnte sich allerdings ändern, wenn kostspieligere Methoden wie Brücken oder Implantate für einen versorgungsrelevanten Anteil der Bevölkerung nicht mehr bezahlbar sind (zum Beispiel bei einer länger anhaltenden wirtschaftlichen Rezession) und keine entscheidenden Erfolge bei der Behandlung von ImplantatNebenwirkungen (zum Beispiel Periimplantitiden) erzielt werden. Komposit-Kunststoffe waren schon immer gut für „frugale“ Überraschungen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass der Lückenschluss mit direkt eingebrachtem Komposit-Kunststoff größere Verbreitung finden wird. Dies dürfte auch für momentan noch im Hintergrund stehende frugale Methoden anderer Fachdisziplinen gelten. Um die Verbreitung zu fördern, sind noch erhebliche Anstrengungen notwendig. Neben einer Verbesserung der werkstoffkundlichen Eigenschaften der verwendeten Restaurationsmaterialien müssen unter anderem die Insertions- und Ausarbeitungstechniken weiter verfeinert, die Schulungen intensiviert und die allgemeinen Rahmenbedingungen verbessert werden. Entscheidend wird es sein, dass vermehrt wissenschaftliche In-vitro- und In-vivo-Studien über diese neue Versorgungsart generiert werden. Auch wenn derzeit nur wenig „Manpower“ investiert wird, könnten sich stärkere Aktivitäten auf diesem Gebiet im Sinne der Frugalen Zahnmedizin – mit besonderem Augenmerk auf eine Nutzen-Risiko-Abwägung [Staehle, 2010, 2019d, 2021] – lohnen. FAZIT UND AUSBLICK \ Ein stabiler und hygienefähiger Lückenschluss mit direkt eingebrachten Kompositen ist inzwischen realisierbar, erfordert aber eine umfassende Expertise auf dem Gebiet der konservierendrestaurativen Zahnheilkunde. \ Die (wenigen) zur Verfügung stehenden klinisch-retrospektiven Evaluationen haben über längere Zeiträume gute Überlebenschancen zeigen können. \ Technische Vereinfachungen sind durch größere Anwendungserfahrungen zu erwarten. Dabei werden voraussichtlich auch computergestützte Verfahren (Werkstücke, individuelle Matrizen und ähnliches) einen Beitrag zur Verbesserung des Verfahrens liefern. Die Etablierung eines minimalinvasiven, ästhetisch ansprechenden und „bezahlbaren“ Lückenschlusses als Ergänzung oder Alternative zu bisherigen Interventionen wäre auch ein wichtiger Baustein der präventionsorientierten Zahnheilkunde. \ PROF. DR. MED. DENT. CORNELIA FRESE Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der Klinik für Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten des Universitätsklinikums Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg cornelia.frese@med.uni-heidelberg.de Foto: Universitätsklinikum Heidelberg ZAHNMEDIZIN | 53
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