Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 6

zm112, Nr. 6, 16.3.2022, (532) SCHICKSAL UND WIRKEN DES JÜDISCHEN ZAHNARZTES DR. VICTOR PENZER Überzeugungstäter für eine bessere Welt Stephan Heinrich Nolte Das Leben des jüdischen Zahnarztes Dr. Victor Penzer war geprägt von seinem ganzheitlichen Verständnis von Medizin und seinem Einsatz für Menschenrechte. Penzer war Vordenker – in Public-Health, bei alternativen Heilmethoden und als Kämpfer gegen Amalgam. Privat engagierte er sich gegen Rassismus. Die Kraft dafür lag in seinen Erlebnissen in Auschwitz begründet – und dem Neuanfang in den USA. Im Jahr 1949 erreichte ein jüdisches Ehepaar die Vereinigten Staaten und ließ sich in der Bostoner Gegend nieder. Es waren Flüchtlinge polnischer Herkunft, die eine Möglichkeit zur Auswanderung in die USA erhalten hatten. Stella Penzer (1921–2018) war Krankenschwester, ihr Mann Victor (* 18. Juli 1919 in Kraków; † 29. Dezember 1999 in Boston) promovierter Zahnarzt. Sein Studium in Polen und Deutschland wurde nicht angerechnet, so dass er an der Tufts University Dental School in Boston erneut den Abschluss machen musste, um anschließend als niedergelassener Zahnarzt tätig werden zu können. Penzer bildete sich in der akademischen Medizin an renommierten Institutionen weiter, in Stomatologie, Public Health, Pathologie und Immunologie in Harvard – aber auch in alternativen Heilverfahren wie Hypnose, Akupunktur, oraler Myologie, Myotronics und Bioelectronics. Nebenbei studierte er Jura, arbeitete als Journalist und wurde – oft provokativ – in Fachzeitschriften aktiv. So war er Herausgeber von „Stomatologia Holistica“, und Mitherausgeber von „Health Consciousness“. Er engagierte sich in der Weiterbildung in Tufts und an der Boston University. 1978 gründete er mit anderen engagierten Zahnärzten die „Holistic Dental Association“, ein Forum für gesundheitsfördernde Therapien über zahnärztliche Eingriffe hinaus. „ES WAR EINE HEILENDE ERFAHRUNG, MIT IHM ZUSAMMEN ZU SEIN“ Penzer zog gegen Amalgamfüllungen zu Felde, was zu einer Anklage der Massachusetts Dental Association führte. Diese befürchtete, ebenso wie die American Dental Association, von Sammelklagen überzogen zu werden, falls Amalgam für Demenz und andere neurodegenerative Erkrankungen verantwortlich gemacht werden würde. Dem Entzug der Approbation kam er zuvor, indem er freiwillig seine Zulassung abgab, sich aus der Zahnmedizin zurückzog und 1986 in den Ruhestand ging. Er blieb jedoch konsiliarisch tätig: Ted Kaptchuck, der bekannte Placebo-Forscher, schrieb über ihn: „Victor Penzer war ein bemerkenswerter Mann und für mich ein wichtiger Mentor. Als er in den Ruhestand ging, meldete er sich freiwillig in der von mir geleiteten Schmerzklinik und untersuchte Patienten auf Schmerzen im Kiefergelenk. Er hat sie nie wirklich behandelt, weil wir dazu nicht die richtige Ausrüstung hatten. Ich war der Direktor der Klinik. Die Patienten fragten mich immer wieder, ob sie nicht der ‚ alte Arzt‘ wieder behandeln könne, weil er ihnen so gut geholfen habe. Sie dachten, dass Victors Untersuchung eine Behandlung war. Manchmal bat ich Victor einfach, noch einmal mit ihnen zu sprechen. Es war eine heilende Erfahrung, mit Victor zusammen zu sein.“ Was war die heilende Erfahrung? Es waren seine Biografie und (insbesondere) die Erlebnisse in Auschwitz, die er vor seinem bürgerlichen Leben in den USA durchlitten hatte. Kaptchuck berichtete: „Er hat oft mit mir über Auschwitz gesprochen. Meine Lieblingsgeschichte, die er mir erzählte, war, dass die Aufseher in Auschwitz ihm manchmal eine Aspirin-Tablette gaben. Er löste sie in einem Eimer Wasser auf und gab dies teelöffelchenweise an die Patienten aus. Er hat uns beigebracht, ein Heiler zu sein, dass man einem Kranken immer helfen kann.“ So erklärt sich sein besonderes Eintreten für eine „menschliche Medizin“, aber auch für ein menschliches Miteinander allgemein. Das Ehepaar Penzer bewies ein hohes Maß an Zivilcourage. Ihr Sohn Daniel berichtete, Victor Penzer 1946 ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 54 | GESELLSCHAFT

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