zm112, Nr. 6, 16.3.2022, (534) 1919 in Krakau als zweites Kind einer wohlhabenden, liberalen, weitläufigen jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Nach dem Abitur studierte er vom Wintersemester 1937 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Medizin an der Universität Krakau und legte im Sommer 1939 die ärztliche Vorprüfung ab. Sein sechs Jahre älterer Bruder hatte wegen eines Numerus clausus für Juden in Palermo studiert und war bereits Arzt. Die Berufswahl Victors war dadurch, aber auch durch eigene Krankheitserfahrungen geprägt. Alternative Heilverfahren lernte er früh kennen, etwa im Prießnitz-Sanatorium in Gräfenberg. Diese waren für seine spätere medizinische Einstellung von richtungsweisender Bedeutung. Der deutsche Überfall auf Polen beendete mit der Schließung der Universität das weitere Studium. Mit seinem Vater und seinem Bruder Edek flüchtete er nach Osten, wo jedoch die Russen einmarschiert waren und sie verhaftet wurden. Sie konnten mit ihrem inzwischen erkrankten Vater entkommen und schlugen sich nach Lwiw (Lemberg) durch, wohin viele Krakauer geflüchtet waren. Penzer versuchte erfolglos, dort sein Studium fortzusetzen. Aus Sorge um die zurückgebliebene Mutter, die den NaziBesatzern ausgesetzt war, kehrte er nach Krakau zurück, wo inzwischen offener Antisemitismus vorherrschte. Nachbarn verschafften ihm den „arischen“ Namen Jozef Czarski. Penzer engagierte sich im von Grabenkämpfen zwischen Nationalisten und Kommunisten geprägten Widerstand, bis er 1941 untertauchen musste. Seine Berichte über die Massenmorde wurden selbst von jüdischen Gemeinden als Propaganda abgetan. Es gelang ihm, Juden mit Papieren von untergetauchten Polen, die zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt werden sollten, als „Arier“ zu tarnen. Reichere Juden konnten in die Schweiz oder nach Ungarn gerettet werden. Im Februar 1943 wurde Penzer verhaftet, nach einem Monat Verhör kam er am 14. März 1943 mit einem Transport aus rund 2.000 Menschen aus dem Krakauer Ghetto nach Auschwitz. 484 Männer wurden ins Lager eingewiesen, 1.492 in den Gaskammern des Krematoriums II getötet. Er bekam die Häftlings-Nr. 108208. Es gelang ihm, als Schreiber im Krankenbau unterzukommen, wo er nur durch mehrere Zufälle überlebte. Im Lager bewahrte er Mitgefangene vor der Selektion und half, wo immer er konnte. IM KZ WOLLTE ER SICH DEN SCHÄDEL EINSCHLAGEN Bei der Evakuierung von Auschwitz im Januar 1945 wurde Penzer auf den berüchtigten Todesmarsch gesetzt und kam ins Konzentrationslager Mauthausen. Er arbeitete in den Nebenlagern Ebensee und zuletzt Gunskirchen, wo er – nach einer Selbstattacke mit einer Axt in suizidaler Absicht – am Schädel verwundet und fast verhungert, am 5. Mai 1945 befreit wurde. Seine Familie war ausgelöscht, an eine Rückkehr nach Polen war nicht zu denken. In der Nähe von Innsbruck hatte man den „Wiesenhof” bei Gnadenwald, ein ehemals in jüdischem Besitz befindliches Hotel, als Ausgangslager zur Einwanderung nach Israel eingerichtet. Dort lernte Penzer seine spätere Frau Stella Sławin kennen. Sie war Krankenschwester und kam aus Otwock in Polen. Aus dem Warschauer Ghetto geflohen, hatte sie „arisiert“ unter falschem Namen überlebt, während ihre Eltern von den Nazis getötet und am 19. August 1942 in einem Massengrab verscharrt wurden, der Rest der Familie wurde in Treblinka ermordet. Ihr Zwillingsbruder Lolek wurde als Jude enttarnt und von einem Polizeispitzel erschossen. Zunächst nahm Victor sein Studium in Innsbruck auf. 1946 zog das Paar nach München, um Victors Bruder Edward näher zu sein, der inzwischen Arzt im DP-Lager Föhrenwald bei Wolfratshausen war. Sein Bruder und dessen Frau hatten – durch gefälschte Papiere als Geschwister „arisiert“ – den Krieg in Deutschland in der Nähe von Berlin als polnische Fremdarbeiter überlebt. Später wanderten sie in die USA aus, wo Edward in New Jersey als Psychiater tätig wurde. Bereits im Sommer 1948 konnte Penzer in München das zahnärztliche Staatsexamen ablegen und mit der Victor Penzer 1991 DR. STEPHAN HEINRICH NOLTE Kinder- und Jugendarzt, Psychotherapeut, Fachjournalist, freier Kulturwissenschaftler und Lehrbeauftragter der Philipps-Universität Marburg Foto: Angelika Zinzow 56 | GESELLSCHAFT
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