zm112, Nr. 6, 16.3.2022, (543) Ein Großteil des Wissens über den Nocebo-Effekt wurde indirekt, aus Placebo-Studien gewonnen. Beispielsweise hat man in einer Studie Patienten in zwei Gruppen unterteilt und jeweils mit einem aktiven Wirkstoff oder mit einem Placebo behandelt. Vorab fand eine Aufklärung über unerwünschte Arzneiwirkungen statt, die dann auch in beiden Gruppen auftraten, wobei bis zu 50 Prozent der Placebo-Gruppe darüber berichteten. Vermutet wird, dass die Erwartung des Eintritts von Nebenwirkungen jene hervorgerufen hat (NoceboEffekt). Auch in den aktiven Behandlungsgruppen wird geschätzt, dass der Anteil der durch den Nocebo-Effekt ausgelösten unerwünschten Nebenwirkungen und Ereignisse sehr hoch ist. DIE ANGST VOR RISIKEN TRIGGERT DIE EMPFUNDENEN NEBENWIRKUNGEN Die Forschenden schlussfolgern, dass schon die Information über mögliche unerwünschte Nebenwirkungen oder Ereignisse bei der Verabreichung von Medikamenten dazu führt, dass deren Eintreten um ein Vielfaches wahrscheinlicher wird. Deutlich wurde dies im direkten Vergleich mit einer Gruppe, die diese Informationen nicht erhielt. Diese sogenannte „negative verbale Suggestion“ habe dabei nicht nur Auswirkungen auf das Eintreten von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, sondern könne auch die Wirksamkeit von Medikamenten und Therapien herabsetzen oder gänzlich aufheben. Bemerkenswerterweise beruhen die Erkenntnisse nicht allein auf Patientenaussagen, sondern konnten auch in der Magnetresonanztomografie (MRT) nachgewiesen werden: Die Hirnbereiche, die für Schmerzempfinden verantwortlich sind, zeigten tatsächlich eine höhere Aktivität im MRT. Die Datenlage zum Nocebo-Effekt in der Zahnmedizin ist dünn, wenngleich die Vermutung naheliegt, dass dieser im zahnmedizinischen Fachbereich eine zentrale Rolle spielt, da der Effekt eng mit Angst verknüpft ist und eine Wechselwirkung beider vermutet wird. Die Autoren führen zwei Studien an, die Hinweise auf den Nocebo-Effekt anhand von zahnmedizinischen Beispielen geben. In einer Studie wurden die Teilnehmenden über eine Zahnaufhellung aufgeklärt, allerdings wurde das Bleaching nur in einer Gruppe tatsächlich durchgeführt, während die zweite Gruppe mit einem Placebo behandelt wurde. Trotzdem berichteten Teilnehmende beider Gruppen über Überempfindlichkeiten und Zahnfleischbrennen nach der Behandlung. In einer weiteren Studie wurde den Patienten nach einer Weisheitszahnextraktion entweder Naloxon oder ein Placebo verabreicht. Vorab waren sie darüber aufgeklärt worden, dass das Placebo wirkungslos gegen die Schmerzen sei, während Naloxon zu einer Zunahme der Schmerzen führen könne. Mehr als 60 Prozent der Patienten, die das Placebo bekamen, berichteten über stärkere Schmerzen nach der Einnahme. Eine weitere Studie zeigt, dass auch die Haltung des behandelnden Zahnarztes einen starken Einfluss auf das Befinden des Patienten haben kann. So wurden die behandelnden Zahnärzte informiert, dass den Patienten nach einer Weisheitszahnentfernung in einer Gruppe entweder Naloxon oder ein Placebo intravenös verabreicht wird, während Teilnehmende einer zweiten Gruppe entweder Naloxon, ein Placebo oder Fentanyl erhalten. Die Erwartungshaltung der Zahnärzte bei den Patienten in der zweiten Gruppe, die Infusion könne schmerzlindernd wirken, hatte positive Auswirkungen auf das Befinden der Patienten, während in der ersten Gruppe deutlich mehr Patienten über starke Schmerzen klagten. Tatsächlich hatten aber alle Patienten ein Placebo erhalten. Die Beispiele zeigen den engen Zusammenhang zwischen negativen Erwartungen, die durch die Aufklärung der Patienten entstehen können, und dem tatsächlichen Eintreten eines Nocebo-Effekts. WELCHE ROLLE SPIELT DAS VERHALTEN DES ZAHNARZTES? Die enge Verknüpfung von Angst und Nocebo-Effekt untermauert eine Studie, die feststellte, dass die postoperativen Schmerzen nach Zahnextraktionen bei ängstlichen Patienten viel stärker auftreten als bei nicht-ängstlichen. Die Autoren fassen deshalb zusammen, dass hinsichtlich des Nocebo-Effekts „verbale Suggestionen, die Beziehung zwischen Patient und Arzt, die Erwartungen der Patienten und die Angst Faktoren sind, die in der zahnärztlichen Praxis wahrscheinlich eine Rolle spielen, genau wie in anderen klinischen Bereichen“ [Watanabe et al., 2022]. Was also kann getan werden, um möglichst gute Behandlungsergebnisse zu erzielen und den NoceboEffekt abzuschwächen? Zunächst ist das Arzt-PatientenVerhältnis ein wichtiger – und häufig beeinflussbarer – Baustein, bilanzieren die Forschenden. Sie schlagen vor, bei Aufklärungsgesprächen sensibel bei der Formulierung von Behandlungsrisiken zu sein, positive Umdeutungen zu wählen sowie die Patienten auch über den Nocebo-Effekt aufzuklären. nl Originalpublikation: Watanabe T, Sieg M, Lunde SJ, Taneja P, Baad-Hansen L, Pigg M, Vase L: What is the nocebo effect and does it apply to dentistry? A narrative review. J Oral Rehabil. 2022 Jan 18. doi: 10.1111/joor.13306. Epub ahead of print. PMID: 35043415. ZAHNMEDIZIN | 65
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