zm112, Nr. 6, 16.3.2022, (553) KINDERZAHNBEHANDLUNG MIT ODER OHNE ERZIEHUNGSBERECHTIGTE? ÄNGSTLICHE ELTERN VERUNSICHERN IHRE KINDER Haben Eltern Einfluss auf die Angst ihrer Kinder und sollten sie bei zahnärztlichen Behandlungen mit im Raum sein? STUDIE DER UNIVERSITY OF PENNSYLVANIA GUT GEMACHT – WIE SICH LOB AUF DIE PUTZZEIT AUSWIRKT Korrelieren Anweisungen und Lob der Eltern bei Dreijährigen mit deren Ausdauer beim Putzen? Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass ängstliche Eltern mit ihrer Anwesenheit die Kinder negativ beeinflussen können. Forschende aus der Türkei prüften diese These im Rahmen einer aktuellen Studie und fanden heraus, dass die Anwesenheit ängstlicher Eltern während der Behandlung negative Auswirkungen auf ihre Kinder hat und deren Angst verstärkt. Für die Studie wurden insgesamt 160 Kinder-Eltern-Paare rekrutiert und zwei Gruppen zugewiesen. Die erste Gruppe umfasste 80 Kinder, deren Eltern einem Zahnarztbesuch eher ängstlich gegenüberstehen, die zweite Gruppe 80 nicht-ängstliche Eltern und deren Kinder. Alle Kinder wurden im Rahmen der Studie einer zahnärztlichen Behandlung unterzogen, wobei jeweils die Hälfte einer Gruppe in Begleitung eines Elternteils behandelt wurde, die andere Hälfte ohne. Die Kinder im Alter von vier bis acht Jahren hatten bislang keine invasiven zahnärztlichen Eingriffe, wiesen aber kariöse Defekte auf, die eine Behandlung unter lokaler Anästhesie erforderlich machten. Kinder, die bereits Erfahrungen mit zahnärztlichen Behandlungen hatten, wurden von der Studie ausgeschlossen. Nach einer Erstuntersuchung wurde eine Woche später die Behandlung durchgeführt, wobei die Herzfrequenz der Kinder während des Eingriffs gemessen, eine Videoaufzeichnung angefertigt und das Resultat dann von einem Pädiater ausgewertet wurde. Zudem mussten Kinder anhand einer Skala mit Gesichtern ihr Befinden beschreiben (Wong-Baker Faces Scale). Die Ergebnisse zeigen, dass die Intensität der Angst der Eltern mit der Herzfrequenz der Kinder korrelierte. Die geringste durchschnittliche Herzfrequenz hatten Kinder, deren Eltern keine Zahnarztangst hatten und bei der Behandlung ihrer Kinder zugegen waren. Die höchste durchschnittliche Herzfrequenz wiesen Kinder der Gruppe auf, die von ängstlichen Eltern während der Behandlung begleitet wurden – bei diesem Teil der Gruppe ohne elterliche Begleitung war die Herzfrequenz indes geringer. Aus der Perspektive der behandelnden Zahnärztinnen und Zahnärzte in dieser Studie war der Umgang mit den Kindern leichter, wenn die Eltern nicht zugegen waren. Die Autoren führen ältere Studien an, die bereits festgestellt hatten, dass die elterliche Anwesenheit dazu führen kann, dass die Behandlung häufiger unterbrochen und das Kind in seiner Angst bestärkt wird. Dem entgegen stehen Studien, die sich für eine Begleitung der Kinder durch ihre Eltern aussprechen, weil dies den Kindern in einer unsicheren Umgebung mehr Halt gebe. Die vorliegende Studie konnte allerdings zeigen, dass die Anwesenheit ängstlicher Eltern eher dazu führt, dass Kinder sich am Vorbild ihrer Eltern orientieren und deren Ängste adaptieren. Originalpublikation: Yigit T, Gucyetmez Topal B, Ozgocmen E: The effect of parental presence and dental anxiety on children‘s fear during dental procedures: A randomized trial. Clin Child Psychol Psychiatry. 2022 Jan 17:13591045211067556. doi: 10.1177/13591045211067556. Epub ahead of print. PMID: 35038278. Konkret wurde untersucht, wie sich die elterliche Unterhaltung während des Zähneputzens, aber auch Stress, Stimmung und Schlaf des Kindes auf die Schwankungen in der Putzzeit auswirken. An der Studie nahmen 81 Dreijährige teil, die erlernt hatten, sich selbst die Zähne zu putzen. Sie kamen aus Familien im Raum Pennsylvania, deren durchschnittlicher Bildungsstand vergleichsweise hoch war. Die Eltern übermittelten über 16 Tage Videos vom abendlichen Zähneputzen, in denen sowohl die Ausdauer der Kinder als auch die Gespräche der Eltern festgehalten wurden. Die Eltern wurden angewiesen, mit der Aufnahme zu beginnen, bevor ihr Kind die Zahnbürste in den Mund nahm, und diese erst zu stoppen, wenn die Mundhygiene beendet war. Die Eltern wurden zudem gebeten, ihr Kind so lange wie möglich selbst die Zähne putzen zu lassen, bevor sie eingriffen und nachputzten. Zudem wurden täglich Fragebögen zum Stressniveau der Eltern, der Stimmung und dem Schlaf des Kindes ausgefüllt. Die Videos zeigten den Umgang der Eltern während des Zähneputzens mit ihrem Kind. Neben Lob wurden auch Anweisungen zum Zähneputzen ausgesprochen, manche Eltern verwendeten „Ablenkungsstrategien“ wie Singen oder Vorlesen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Ausdauer der Kinder von Tag zu Tag schwankte und mit dem Zuspruch der Eltern zusammenhing. Sie putzten demnach länger an Tagen, an denen ihre Eltern mehr Lob und weniger Anweisungen gaben. Und die Kinder reagierten jeweils unterschiedlich empfindlich auf Stimmung, Schlaf und Stress der Eltern. Ausgewählt wurde das Zähneputzen, da es sich dabei um eine alltägliche Aufgabe handelt, die Kindern nicht besonders viel Spaß macht, aber für die langfristige Gesundheit essenziell ist. Die Autoren räumen allerdings mehrere Einschränkungen der Studie ein. Die Stichprobe war auf einkommensstärkere Familien in einem westlichen, gebildeten, kulturellen Kontext ausgerichtet. Mögliche Verzerrungen könnten durch nicht korrektes Ausfüllen der Fragebögen oder Änderungen im elterlichen Verhalten aufgetreten sein. Zudem fehlten konkrete Daten über die Qualität des Schlafes der Kinder sowie das morgendliche Zähneputzen. Darüber hinaus bleibt ungeklärt, ob das Lob der Eltern langfristige Veränderungen im Verhalten der Kinder bewirkt oder lediglich kurzfristige Effekte hat. Leonard JA, Lydon-Staley DM, Sharp SDS, Liu HZ, Park AT, Bassett DS, Duckworth AL, Mackey AP. Daily fluctuations in young children‘s persistence. Child Dev. 2021 Dec 14. doi: 10.1111/cdev.13717. Epub ahead of print. PMID: 34904237. ZAHNMEDIZIN | 75
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