Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 7

zm112, Nr. 7, 1.4.2022, (644) Zahnes, sondern auch der marginalen Gingiva und der knöchernen Alveole herbeizuführen [Dolanmaz et al., 2010]. Zu den zuvor genannten Behandlungsoptionen sind jeweils nur unzureichend belastbare Studien verfügbar [Campbell et al., 2005]. Darüber hinaus kommt ein konservativer Ansatz in Betracht. In jedem Fall sind nach dem Erkennen einer Ankylose regelmäßige klinische und radiologische Verlaufskontrollen indiziert. Weiterhin sollten auch die Vor- und Nachteile einer begleitenden endodontischen Therapie gegeneinander abgewogen werden. Beim vorgestellten Fall ist davon auszugehen, dass das auslösende Ereignis (Frontzahntrauma) für die klinisch nun relevante Ankylose des Zahnes 11 schon im Alter von elf Jahren stattgefunden hatte. Hieraus resultierend zeigte sich der betreffende Zahn mehr und mehr impaktiert. Eine prothetische Lösung kam aufgrund der vorhersehbar kompromissbehafteten Rot-Weiß-Ästhetik für die Patientin nicht infrage. Eine implantatprothetische Lösung war zum gegebenen Zeitpunkt aufgrund des zu erwartenden Ausmaßes einer Augmentation ebenfalls nicht weiterverfolgt worden. Bei hohem Leidensdruck wurde sich zur chirurgischen Therapie entschlossen. Aufgrund der großen Verlagerungsstrecke und der wenig mobilen palatinalen Schleimhaut wurde von der Durchführung eines einzeitigen Repositionsmanövers nach Luxation Abstand genommen. Als Alternative blieb somit die Segmentosteotomie und Distraktionsosteogenese. Hierzu fanden sich in der Literatur zwar nur wenige beschriebene Fälle, diese zeigten jedoch ausgesprochen vielversprechende Resultate: Chang et al. beschrieben einen Fall in 2010 [Chang et al., 2010], genauso wie Isaacson et al. [Isaacson et al., 2001]. Huck et al. beschrieben 2006 zwei Fälle und stellten den Erfolg und die Überlegenheit dieser Methode gegenüber konventionellen Therapieansätzen dar [Huck et al. 2006]. Der Vorteil des Transports der Rot-WeißGrenze wird von Agabiti et al. eindrücklich dargestellt, darüber hinaus beschreiben sie den Nutzen der Anwendung nicht-rotierender Osteotomieinstrumente bei der Durchführung des Eingriffs [Agabiti et al., 2014]. Ramaglia et al. wendeten eine ähnliche Methode bereits bei jüngeren Patienten (Durchschnittsalter: 13,4 Jahre) an, bei denen Sie einen chirurgisch nahezu identischen Eingriff mit einem zahnverankerten, plattenbasierten Distraktor kombinierten [Ramaglia et al., 2019]. Im Gegensatz zum hier dargestellten Fall begann die Distraktion jedoch erst 14 Tage nach der Operation, was vor dem Hintergrund der akzeptierten Standards in der Distraktionsosteogenese als vergleichsweise lange Ruhephase angesehen werden kann. Keiner der beschriebenen Fälle nutzte präoperativ eine 3-D-Planung und -Simulation. Vor dem Hintergrund der Verfügbarkeit dieser Technik und der Möglichkeit, Distraktionsvektoren und gegebenenfalls notwendige Ausgleichsosteotomien schon präoperativ zu berechnen, scheint dies jedoch heutzutage angezeigt. Darüber hinaus können zu erwartende Fehlpositionen vorberechnet werden und geeignete Gegenmaßnahmen – wie in diesem Fall das zusätzliche Anschlingen an die einliegende kieferorthopädische Apparatur – schon vor ihrer klinischen Präsentation eingeleitet werden. Für zukünftige Fälle kann – abhängig vom Situs – auch diskutiert werden, ob eine kieferorthopädische Apparatur den im präsentierten Fall beschriebenen implantierten Distraktor ersetzen könnte. Dies würde für den Patienten den Verzicht auf einen Zweiteingriff bedeuten. Darüber hinaus könnte dies die Materialkosten deutlich reduzieren. Auf der anderen Seite muss davon ausgegangen werden, dass die Stabilität während der wichtigen Haltephase mit einem noch implantierten, ossär verankerten Distraktor besser ist – ohne dass die klinische Relevanz dieses Faktors belastbar abgeschätzt werden kann. Im präsentierten Fall wurde insbesondere aufgrund des ausgesprochen kleinen Osteotomiespalts bewusst ein implantierbarer Distraktor genutzt, um den planungsgerechten Transport des Segments nicht zu gefährden. ! FAZIT FÜR DIE PRAXIS ! Ankylosen können eine Spätfolge eines dentalen Traumas sein. Abhängig von Lokalisation und Zeitpunkt des Auftretens können sie eine gravierende funktionelle und ästhetische Beeinträchtigung bedeuten. Therapeutisch kommen neben der konservativen Therapie, einer Luxation oder Extraktion auch individuelle Konzepte wie die in diesem Beitrag beschriebene Einzelzahndistraktion infrage. ! Der Fallbericht zeigt eine erfolgreiche Anwendung des Behandlungskonzepts bei schwierigen Ausgangsbedingungen. Auch wenn die Patientin zwei operative Eingriffe in Allgemeinanästhesie über sich ergehen lassen musste, übertrifft das erreichte Ergebnis die zu erwartenden Ergebnisse der bekannten Alternativmethoden klinisch deutlich. ! Zusammenfassend empfiehlt sich die kritische Diskussion der Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahren mit dem Patienten, um ein auf die individuellen Therapieziele und die jeweilige Risikobereitschaft abgestimmtes Behandlungskonzept zu erarbeiten. Bei korrekter Indikationsstellung, Planung und Durchführung können so ausgezeichnete klinische Ergebnisse erreicht werden. PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. FRANK TAVASSOL Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg Str. 1, 30625 Hannover Foto: Viola Pawlaczyk 54 | ZAHNMEDIZIN

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