zm112, Nr. 7, 1.4.2022, (658) derts die Kariesforschung mit seiner chemisch-parasitären Theorie zur Ätiologie der Zahnkaries auf ein neues Niveau [Anthony, 2019, 9ff]. Millers Arbeiten auf dem zuvor genannten Forschungsgebiet markierten „a step from the Stone Age to modern Science“ [König, 1973, vi]. DIE ERSTE UNI-ZAHNKLINIK IN HALLE HATTE ZWEI RÄUME Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte es an einzelnen deutschen medizinischen Fakultäten zahnmedizinische Lehrangebote gegeben. [Krischel, 2017, 14] Die erste – aus heutiger Perspektive bescheiden mit zwei Räumen ausgestattete – universitäre Zahnklinik wurde 1883 in Halle eröffnet. Hier hatte sich im Jahr 1873 Ludwig Heinrich Hollaender (1833–1897) für das Fach Chirurgie habilitiert. 1878 folgte eine unbesoldete Professur. Bereits zwei Jahre später legte Hollaender ein Studienprogramm für Zahnmedizin vor [Schauer, 2015, 10, 28–30, 64f.]. Der Blick nach Halle zeigt exemplarisch, wie das Ansehen einzelner Professoren die Etablierung der Zahnmedizin an einem universitären Standort fördern oder behindern konnte. So war Hollaender zeitlebens ein umstrittener Charakter, denn „das außeramtliche Auftreten [Hollaenders war] mit der [...] Stellung eines Universitätslehrers kaum vereinbar [...]. Erst neuerdings hat derselbe in einem öffentlichen Lokale durch sein unpassendes Verhalten einen Zwist mit einem dienstthuenden Reserveoffizier verschuldet, dessen Beilegung in einer für [...] Holländer ziemlich unrühmlichen weise erfolgte [...]. Universitätsangehörige ließen sich von Holländer nicht behandeln. [...] Er dutzte alle, ,versautes Maul’ [...] und ordinäre Redensarten [...] kennzeichneten seinen Ton im Umgang mit Hörern und Patienten. Kinder schlug er ins Gesicht [...].“ [Eulner, 1970, 397]. Doch was entsprach eigentlich dem sozialen Profil eines zahnärztlichen Dozenten? Der Medizinhistoriker Hans-Heinz Eulner schreibt, die zahnheilkundlichen Hochschullehrer waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts „Ärzte, rite promoviert und gewöhnlich bald auch in der Fakultät habilitiert. Nicht selten kamen sie von der Chirurgie zur Zahnheilkunde, wie ja auch die Extraktion von Zähnen zum täglichen Dienst der chirurgischen Polikliniken gehörte. Trotzdem blieb genug Trennendes. [...] Die Lehrer der Zahnheilkunde waren Angehörige der Medizinischen Fakultät, mochten sie auch manchmal nur als ,Lehrer’ hinter dem letzten Privatdozenten rangieren und im [...] Personalverzeichnis lange Zeit ,unter dem Strich’ einen Platz finden“ [Eulner, 1970, 406]. STUDIERT WURDE OHNE ABITUR Auch an der Position der Studierenden der Zahnmedizin lässt sich die Widersprüchlichkeit ablesen, die die deutsche Zahnheilkunde vor ihrer vollständigen Akademisierung kennzeichnete. Im Unterschied zu ihren Dozenten, die der medizinischen Fakultät angehörten, konnten sich die Zahnmedizinstudierenden ohne Abitur lediglich als „Immature“ an der philosophischen Fakultät einEntwicklung der deutschen Zahnärzteschaft/nicht-approbierten Zahnbehandler im Deutschen Reich in absoluten Zahlen Quelle: Eigene Darstellung nach Groß (2019c), S. 38. 68 | GESELLSCHAFT
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