zm112, Nr. 7, 1.4.2022, (661) kommen. Dabei gingen beide deutschen Staaten höchst unterschiedlich mit der Frage eines Einheitsstands von Zahnärzten und Dentisten um. Die formale Voraussetzung für die Überwindung des beruflichen Dualismus in den westdeutschen Besatzungszonen bildete das am 15. und 16. Juni 1946 verabschiedete „Lager Abkommen“ der britischen Besatzungszone. Mit der darin beschlossenen Aufhebung der Kurierfreiheit schuf man die Basis für einen Einheitsstand von Zahnärzten und Dentisten [Groß, 2015c, 80–82]. Die Standesvertretungen beider Verbände leisteten 1948 mit dem „Bonner Abkommen“ erfolgreiche Vorarbeiten zum „Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde“, das am 14. Februar 1952 vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden sollte, indem sie zugestanden, dass Mängel in der Berufsausbildung beider Stände durch eine neue Studienordnung reguliert werden sollten. So gelang es, dem beruflichen Dualismus von Zahnärzten nach mehr als 80 Jahren Koexistenz ein Ende zu bereiten [Groß, 2019c, 38; Maretzky/Venter, 1974, 255–260]. DER DUALISMUS ENDETE NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG Die Eingliederung der Dentisten in den zahnärztlichen Berufsstand regelten § 8–11 des Zahnheilkundegesetzes, das am 31. März 1952 veröffentlicht wurde. In § 8, Absatz 1 heißt es dort: „Wer bei Inkrafttreten dieses Gesetzes die staatliche Anerkennung als Dentist besitzt, erhält die Bestallung als Zahnarzt, wenn er an einem Fortbildungskursus über Mund- und Kieferkrankheiten sowie Arzneimittellehre erfolgreich teilgenommen hat. Der Fortbildungskursus ist an einem der zugelassenen Lehrinstitute für Dentisten durchzuführen.“ Analoge Regelungen galten für Dentisten, die sich zu diesem Zeitpunkt in Ausbildung befanden und diese innerhalb von zwei Jahren abschließen konnten. Bis Ende des Jahres 1953 sollten mehr als 15.000 Dentisten den geforderten Qualifikationsnachweis erbracht haben und somit in den zahnärztlichen Stand aufgenommen werden [Groß, 2019c, 38]. Durch den Wegfall der nicht-approbierten Konkurrenz, konnte die Zahnärzteschaft die Kontrolle des Marktes für zahnmedizinische Dienstleitungen erlangen und sich somit langfristig im kapitalistischen Marktsystem verankern. Der Westdeutschen Zahnmedizin gelang so der Aufstieg zu einer sozial prestigereichen und ökonomisch erfolgreichen Profession. Ein imposanter Beleg dafür bilden die 21,4 Milliarden direkter Umsatz (2019), die rund ein Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland ausmachten [BZÄK, 2019]. In der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR wurde ein ähnlicher Kompromiss bereits im Jahr 1949 gefunden. Grundlage zur Herbeiführung eines Einheitsstands war dort das im Mai 1946 verabschiedete „Leipziger Abkommen“ samt seinen Durchführungsbestimmungen vom 12. Juni 1946 [Künzel, 2013, 241–243; Groß, 2019e, 176]. Neben der Aufhebung der Kurierfreiheit, die die formale Voraussetzung für die Vereinigung beider Berufsgruppen darstellte, erfolgte eine „En-bloc-Übernahme der Dentisten nach Absolvierung einer Zusatzqualifikation in Mundund Kieferkrankheiten sowie den Nachweis erworbenen Wissens“ [Künzel, 2013, 241]. Das genannte Abkommen diente als Basis für weitere Gespräche am 27. November 1947, an denen Interessenvertretungen beider Berufsgruppen sowie Vertreter der zahnärztlichen Hochschullehrer in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) teilnahmen. Moderiert wurden diese Gespräche von dem Arzt Carl Coutelle und der Zahnärztin Jenny Cohen, die als Re-Migranten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Gesundheitsverwaltung der SBZ Leitungsfunktionen innehatten. Mit der „Anordnung über die Approbation der Zahnärzte“ vom 2. Juni 1949, wurde das Vorhaben „Einheitsstand“ schlussendlich realisiert. So war die praktische Ausübung der Zahnheilkunde in der DDR nur noch approbierten Zahnärzten erlaubt [Krischel/Halling, 2020; Künzel, 2013, 243]. STEHT DIE ZAHNMEDIZIN VOR EINER ZEITENWENDE? Die Zahnheilkunde in Deutschland ist eine der jüngsten medizinischen Disziplinen. Umso beeindruckender erscheint ihr rasanter Aufstieg zur Spezialdisziplin zwischen dem späten 19. Jahrhundert und der Weimarer Republik. Ein hohes Sozialprestige und ökonomischer Erfolg sind bis heute Attribute, die in den Augen der Öffentlichkeit mit dieser Profession verbunden sind. Dennoch wurden in den vergangenen Jahren einige Stimmen laut, die die Zahnmedizin vor einer „Zeitenwende“ verorteten. Digitalisierung und KI-gestützte Assistenzsysteme [Groß/Groß/Wilhelmy, 2019], eine „wunscherfüllende Zahnmedizin“ [Neitzke/Oppermann, 2016] und die „Patientenemanzipation“ [Kettler/Klingenberger, 2016, 78] stellen die Expertise von Zahnärztinnen und Zahnärzten als medizinische Experten und die Zahnarzt-PatientenBeziehung heute infrage. Aber befindet sich die Zahnmedizin historisch betrachtet in einem Prozess der Deprofessionalisierung und schwerwiegenden Krise? Nein, vor dem Hintergrund des wachsenden Interesses an Fragen der sozialen Zahnheilkunde (Prävention, Gesundheitsförderung, öffentliche Gesundheitspflege), der Ethik und Geschichte der Zahnmedizin sowie der Wissenschaftlichkeit, die auch in der neuen zahnärztlichen Approbationsordnung aus dem Jahr 2019 Ausdruck finden, folgt die Zahnmedizin in Deutschland weiter dem Pfad der Professionalisierung, den sie vor über 100 Jahren eingeschlagen hat. \ DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat GESELLSCHAFT | 71
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