Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 7

zm112, Nr. 7, 1.4.2022, (671) natürlichen Kavitäten. Bei kooperativen Kindern könne eine klassische, direkte Restauration mit defektorientiertem Kavitätendesign mittels Adhäsivauftrag und Kompositrestauration erfolgen. Die Überlebenswahrscheinlichkeiten von Füllungen bei MIH-Zähnen seien indes deutlich geringer als bei einer klassischen Füllungstherapie. Deshalb rät Kühnisch zu indirekten adhäsiven Restaurationen (CAD/ CAM) als langfristige Versorgungsform. Konfektionierte Kronen sollten nur non-Präp verwendet werden. Da diese jedoch sehr auftragen und dadurch den Durchbruch des Siebeners stören könnten, stellen sie für Kühnisch eine Ausnahme Versorgung dar. Eine Extraktion sei nur bei sehr stark destruierten, nicht mehr restaurierbaren Molaren indiziert. Am zweiten Tag ging es schwerpunktmäßig um die zahnärztliche Chirurgie. Dabei führte Prof. Dr. Michael Stimmelmayr (Cham) durch das Programm und machte auch gleich den Auftakt mit seinem Vortrag über synoptische implantatprothetische Therapiekonzepte. Weitere Vorträge zu Rezessionsdeckung, Keramikimplantaten und Periimplantitisbehandlung folgten. Für den Festvortrag wird beim Zahnärztetag WestfalenLippe traditionsgemäß ein nicht-zahnmedizinisches Thema ausgewählt. Dieses Jahr referierte der Kriminalpsychologe Dr. Thomas Müller (Lichtenstein) über das Verhalten und die Reaktionen von Menschen in Belastungssituationen. Dieses Thema ist nicht nur im Angesicht globaler Krisen aktuell, sondern grundsätzlich für Menschen in medizinischen Berufen relevant. Die Kernfrage lautet hier: Warum wachsen manche Menschen unter starker Belastung über sich hinaus, während andere daran zerbrechen? ANGST ALS DAS GEFÜHL UNSERER ZEIT Müller beschreibt Angst als vorherrschendes Gefühl unserer Zeit. Generell glaube er, dass die Menschen verlernt hätten, mit Krisen umzugehen. Bezeichnend sei in diesem Kontext, dass Benzodiazepine zu den am dritthäufigsten verkauften Medikamenten weltweit gehören. Menschen versuchten nicht nur mit Medikamenten Angstgefühle zu unterdrücken, sondern grundsätzlich Situationen zu vermeiden, die ihnen Angst machen. Müller riet, sich diesen dennoch zu stellen. „Gehen Sie Ängsten nicht aus dem Weg, sonst wachsen Sie nicht.“ Die Angst werde bei Vermeidung größer und irgendwann die Schwelle, an der Angstgefühle ausgelöst werden, immer niedriger. Was beeinflusst also maßgeblich unser Verhalten in Belastungssituationen? Abhängig sei dies von der Resilienz, also der psychischen Widerstandskraft des Einzelnen. Die gute Nachricht laute: Man könne Resilienz erlernen. Dabei gelte es zu beachten, dass niemand bei ständigem Erfolg weise werde. Weise würde nur derjenige, der lerne, an seinen Niederlagen zu wachsen. Müller beschreibt vier Säulen der Resilienz, die sich aus den folgenden Punkten zusammensetzt: 1. Bereitschaft, sich selbst weiterzuentwickeln. 2. Bereitschaft dafür zu entwickeln, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. 3. Kenntnis darüber haben, wie das eigene Selbstwertgefühl verteilt ist. 4. Offene, ehrliche und zeitnahe Kommunikation zu kultivieren. (damit ist nicht digitale Kommunikation gemeint) In Belastungssituationen helfe es, einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Sich ständig als Opfer einer Situation zu sehen sei nicht nur kraftraubend, sondern ein Werkzeug, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Hier sei es gut, sich zunächst Gedanken über die Beschaffenheit seines eigenen Selbstwertgefühls zu machen. Dabei sollten die drei Bereiche berufliche Tätigkeit, Interaktion mit Menschen außerhalb des Jobs und Selbstfürsorge idealerweise ausgewogen verteilt sein. Kritisch werde es, wenn ein Bereich mehr Raum einnehme als die beiden anderen zusammen. Wenn ausgerechnet der für das Selbstwertgefühl wichtigste Bereich wegfalle, könne dies der Beginn einer persönlichen Krise sein, deren Kompensationsversuch in Drogenmissbrauch oder der Entwicklung einer anderen Sucht endet. Deshalb sei die Kenntnis der Verteilung des eigenen Selbstwertgefühls so wichtig, um sich selbst, aber auch seine Mitmenschen besser lesen zu können – insbesondere in Belastungssituationen. Was überdies helfen kann, schwierige Zeiten etwas leichter zu machen: Humor! nl ZAHNMEDIZIN | 81

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