zm112, Nr. 8, 16.4.2022, (728) 17. EUROPATAG DER BUNDESZAHNÄRZTEKAMMER Digitalisierung und KI im Fokus Während Deutschland im Ärger über die schlecht funktionierende Telematikinfrastruktur feststeckt, fährt der Digitalzug in Europa weiter: Die Europäische Kommission will im Frühjahr einen Vorschlag zur Schaffung eines europäischen Gesundheitsdatenraums präsentieren. In Brüssel trafen sich auf Einladung der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) am 30. März Standesvertreter und Experten aus dem EU-Politikbetrieb, um sich über die Rolle von Digitalisierung und KI in der zahnmedizinischen Versorgung auszutauschen. Die BZÄK lädt einmal im Jahr zum „Europatag“ nach Brüssel ein. In diesem Jahr hatten die Veranstalter den Fokus auf die Analyse von Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Zahnmedizin gelegt. In seiner Begrüßung nahm BZÄKPräsident Prof. Dr. Christoph Benz zunächst den deutschen Umgang mit der Digitalisierung aufs Korn. Der hiesige Hang, das Digitale „wie eine Science-Fiction“ zu behandeln, produziere regelmäßig Enttäuschungen – stattdessen würde es Deutschland guttun, etwas mehr Realitätssinn an den Tag zu legen und flexibler an den Möglichkeiten der Technik entlang zu denken, forderte Benz. Die Meilensteine der digitalen Entwicklung seien nicht die Umsetzung von ScienceFiction, sondern „eine Evolution der Realität und vielleicht gerade deswegen erfolgreich“ gewesen. BEI DER TI SCHRAUBT NIEMAND MIT HERZBLUT Einen weiteren Impuls setzte Benz mit der Frage nach der Genese erfolgreicher Innovationen: „IBM-PC, das Apple iPhone, Facebook, Google, Amazon – was davon wurde im Weißen Haus erdacht? Oder in amerikanischen Ministerien? Nichts.“ Die Zahnärzteschaft sei eine „sehr digitale Arztgruppe“ – vor Jahrzehnten schon habe man die Praxen digitalisiert: „Und zwar auf eine Weise, wie man Produkte einführt: Jemand erfindet etwas mit Herzblut, diese Idee kommt an beim Publikum und die Kunden kaufen es in großem Stil.“ Bei der TI schraube niemand mit Herzblut, denn es seien Auftragsprodukte, die Kunden sähen das „äußerst skeptisch“ und „anwenden tun sie es nur unter Zwang“, sagte Benz: „Kann das wirklich der Weg sein, wie Digitalisierung in die Welt kommt?“ Einen Einblick in die Funktionsweise medizinischer KI gab Prof. Dr. Falk Schwendicke von der Charité Berlin, Mitglied der Focus Group on Artificial Intelligence for Health der World Health Organization (WHO) und Vorsitzender der Artificial Intelligence Working Group der World Dental Federation (FDI). In der Dermatologie gebe es vielversprechende KI zur Erkennung von Hautkrebs. In der Zahnmedizin liege der Fokus von KI-Anwendungen aktuell bei der Software zur Karieserkennung durch Röntgenbildanalyse. Studien hätten gezeigt, dass sich mit dem Einsatz von KI Genauigkeitsgewinne bei der Kariesdetektion erzielen lassen. Die KI sei aber in den größeren Zusammenhang fortschreitender Technologien eingebunden. Nie zuvor habe es so viele Daten aus der Diagnostik und Therapie der Patienten gegeben, betonte Schwendicke. Neben Daten aus der Bildgebung stünden historische Daten, klinische Befunde und zukünftig auch vermehrt Daten aus Intraoralscannern zur Verfügung. Auf dieser Basis entwickele sich gerade eine „Datenzahnmedizin“, die die Patientenbehandlung künftig „präziser, personalisierter, präventiver und partizipatorischer“ machen könne. Aktuell sei es wichtig, auf politischer Ebene „Normen einzuziehen“, um eine Verlässlichkeit von KI-Produkten sicherzustellen. Hier sind sowohl die BZÄK als auch der Weltzahnärzteverband FDI in den entsprechenden internationalen Gremien bereits beteiligt. Auf der Ebene der Zahnarztpraxen wird es nach Schwendicke wichtig werden, eine Digitalkompetenz, eine „Data Literacy“ zu entwickeln, um neue Technologien anwenden zu können. OHNE TECHNOLOGIE GÄBE ES ZAHNMEDIZIN NICHT Insgesamt zeigte sich Schwendicke überzeugt, dass die bessere Nutzung vorhandener Daten künftig auch eine bessere Diagnostik und Therapie in der Zahnmedizin ermöglichen werde. Ein Hemmschuh heute sei die mangelnde Interoperabilität von Daten und Systemen. In der anschließenden Diskussion fragte Moderator Hendrik Kafsack, Brüssel-Korrespondent der FAZ, nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Technik. Als Gesprächspartner waren neben Schwendicke Marion Walsmann, MdEP (CDU), Mitglied des Binnenmarktausschusses (IMCO) und des Sonderausschusses zu künstlicher Intelligenz im digitalen Zeitalter des Europäischen Parlaments (EP), Dr. Freddie Sloth-Lisbjerg, Zahnarzt und Präsident des Council of European Dentists (CED), und Dr. Frank Niggemeier, Geschäftsführer des Sachverständigenrats Gesundheit, geladen. Sie waren sich einig, dass KI den Menschen nicht überflüssig 26 | POLITIK
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