zm112, Nr. 8, 16.4.2022, (752) Die heutigen KI-Anwendungen haben oft einen klar und eng definierten Zweck: Sie sollen zum Beispiel auf Bildern bestimmte Pathologien wie Karies oder odontogene Zysten detektieren oder anhand von klinischen Aufzeichnungen – zum Beispiel Zeitreihen parodontaler Sondierungstiefen – Krankheitsereignisse wie Zahnlockerungen oder Zahnverlust vorhersagen. Jede dieser Aufgaben ist jedoch mit spezifischen Schwierigkeiten verbunden, bedingt durch das unterschiedlich häufige Auftreten des vorherzusagenden Problems: 1. Schwierigkeit: Bestimmte Pathologien kommen seltener vor als andere. So sind beispielsweise odontogene Zysten seltener anzutreffen als Karies (geringere Prävalenz), ebenso ist der Verlust eines Zahnes deutlich seltener als zum Beispiel das Auftreten einer Zahnlockerung (geringere Inzidenz). KI-Modelle, die klinisch nützlich sein sollen, um seltene Phänomene zu detektieren oder vorherzusagen, müssen sich dieser Schwierigkeit stellen: Sie müssen einerseits oft an größeren Datensätzen trainiert werden, da der Zielparameter – also zum Beispiel die Zyste oder der Zahnverlust – nur selten auftreten (also von 100 Bildern nur einige wenige überhaupt Zysten enthalten). Andererseits müssen diese Modelle sogar deutlich größere Genauigkeiten aufweisen, um nützlich zu sein. Modelle, die mit 80 Prozent Genauigkeit Zahnverluste über einen Zehnjahreszeitraum vorhersagen können, sind für den Praktiker nur bedingt nützlich, da die Wahrscheinlichkeit eines Patienten, über diesen Zeitraum überhaupt keinen Zahn zu verlieren, in ähnlicher Größenordnung liegt. Der praktische Zahnarzt, der also annimmt, jeder Zahn würde erhalten, hat ebenso oft recht wie das aufwendig trainierte KI-Modell! 2. Schwierigkeit: Gerade für KI-Modelle in der Bildanalytik ist es zudem herausfordernd, kleinere Veränderungen, die nur wenige Pixel auf dem Bild betreffen, aufzuspüren. In vielen Fällen sind nur wenige Hundert Pixel auf einem mehrere Zehntausend Pixel großen Bild betroffen. KI IN DER ZAHNARZTPRAXIS – TEIL 2 So unterstützt KI die zahnärztliche Diagnostik Falk Schwendicke, Joachim Krois Eine Hemmschwelle für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist die gängige Befürchtung, die klinische Beurteilung könne eines Tages durch „Entscheidungen“ der KI – auch justiziabel – beeinträchtigt oder sogar ersetzt werden. Wenngleich solche Szenarien nicht unmöglich erscheinen, wird die KI doch in der Bilddiagnostik immer nur eine begrenzte diagnostische Reichweite haben, weil die klinischen Informationen für die Diagnosestellung unverzichtbar bleiben. KI IN DER ZAHNARZTPRAXIS Erste Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) für die Zahnarztpraxis gibt es inzwischen, doch noch immer herrscht viel Unsicherheit darüber, was KI eigentlich ist und leisten kann. Was können Zahnärztinnen und Zahnärzte vom Einsatz einer KI im Alltag erwarten? Welchen Mehrwert kann ein solches Werkzeug bringen? In der Reihe „KI in der Zahnarztpraxis“ erörtern Experten Fragen zum Verständnis der KI. PROF. DR. FALK SCHWENDICKE, MDPH Leiter der Abteilung für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung Centrum 3 für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin Foto: privat 50 | ZAHNMEDIZIN
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