Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9

zm112, Nr. 9, 1.5.2022, (816) Seit Jahren belegen wir der Politik mit detaillierten Analysen und Gutachten die fatalen Folgen der Einflussnahme versorgungsfremder Investoren auf die Patientenversorgung, ohne dass bisher wirklich wirksame gesetzliche Maßnahmen ergriffen wurden. Unsere drängenden Fragen, wie denn die medizinische und zahnmedizinische Versorgung in Deutschland in fünf, zehn und zwanzig Jahren bei weiterhin ungebremstem Zustrom versorgungsfremder Investoren nach den Vorstellungen der Politik ausgestaltet sein soll, blieben bis heute unbeantwortet. Ganz offensichtlich herrschte und herrscht in großen Teilen der Politik gegenüber Investoren im Gesundheitswesen eine überaus freundliche Einstellung, während man den freiberuflichen Heilberufen und ihren Standesvertretungen eher mit Skepsis begegnet. Kann der Wert einer freiberuflich getragenen Gesundheitsversorgung in Deutschland nach unserer Auffassung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, wird dies in großen Teilen der Politik offensichtlich gänzlich anders gesehen. Besonders deutlich machte dies der damalige Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Erwin Rüddel (CDU), im Rahmen einer Debatte im Bundestag über einen Antrag der Linksfraktion am 8. November 2019: „Solange Versorgungssicherheit und Patientenzufriedenheit gegeben sind, sind mir Eigentumsverhältnisse gleichgültig oder eher zweitrangig.“ Und sein Ausschusskollege Alexander Kraus (CDU) bekräftigte: „Mich interessiert nicht, wem ein MVZ gehört.“ Auf gut Deutsch bedeutet dies nichts anderes als: Egal, wer versorgt, Hauptsache, es wird versorgt! Nach wie vor und in zunehmendem Maße drängen ausländische PrivateEquity-Unternehmen und Hedgefonds getrieben von hohen Renditeerwartungen in den zahnärztlichen und ärztlichen Versorgungsbereich. Durch den Kauf eines regelmäßig kleinen und oft maroden Krankenhauses, das in der Regel keinerlei Bezug zur zahnmedizinischen Versorgung aufweist und sich „somewhere in nowhere“ befindet, werden die Investoren in die Lage versetzt, überall in Deutschland investorbetriebene MVZ (i-MVZ) zu gründen oder zu erwerben. Zwar reagierte der damalige Bundesminister Spahn (CDU) auf die unwiderlegbaren Argumente und den erheblichen öffentlichen Druck der KZBV mit der für den zahnärztlichen Versorgungsbereich geltenden Bereichsausnahme im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) von Mai 2019. Danach wurde eine spezielle Regelung zur Gründung zahnärztlicher MVZ (z-MVZ) durch Krankenhäuser geschaffen, deren Gründungsbefugnis von der Wahrung bestimmter Versorgungsanteile abhängig gemacht wurde. War man seinerzeit in der Zahnärzteschaft noch hoffnungsfroh, dass dieses Instrument, das damals offensichtlich den maximal erreichbaren politischen Kompromiss zwischen den Regierungsparteien darstellte, Wirksamkeit entfalten würde, so muss man spätestens heute in aller Deutlichkeit erkennen, dass vom TSVG nicht die erhoffte Wirkung auf die Gründungswelle seitens der Investoren ausgegangen ist. Vor dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) aus Juli 2015 betrug die Zahl von MVZ im zahnärztlichen Bereich (damals nur fachübergreifende) gerade einmal 28. Mit dem GKV-VSG wurde die gesetzliche Grundlage für fachgruppengleiche MVZ auch in der Zahnmedizin geschaffen. Danach stieg nicht nur die Zahl zahnärztlicher MVZ bis Mitte 2019 auf 709, sondern auch die Zahl der i-MVZ wuchs auf 152 an. Seit dem Inkrafttreten des TSVG Mitte 2019 bis heute hat sich die Zahl der zahnärztlichen MVZ auf 938 (Stand 12/21) erhöht und die Zahl der i-MVZ auf 351 mehr als verdoppelt! Allein im 2. Halbjahr 2021 wuchs die Anzahl der i-MVZ um weitere 30 Prozent. Gleichzeitig hat sich die Kettenbildung in den vergangenen Jahren rasant erhöht. Noch gravierender sind die Wachstumsraten von investorbetriebenen MVZ im humanmedizinischen Bereich. Marktbeherrschende Stellungen von i-MVZ-Ketten und Oligopole haben sich gebildet. Ganze Bereiche der medizinischen Versorgung werden heute schon als von den Investoren beherrscht bezeichnet. Hierzu zählen neben anderen offensichtlich die Bereiche der augenärztlichen Versorgung, der Labormedizin, der Nephrologie und der Radiologie. Standen wir freiberuflichen Zahnärztinnen und Zahnärzte Foto: KZBV/Knoff Egal, wer versorgt? 06 | LEITARTIKEL

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