zm112, Nr. 9, 1.5.2022, (885) 1000 99000 A 99 C D 1 B Jede KI-Anwendung, die nach Karies fahndet, sollte also unter diesem Blickwinkel beurteilt werden: Wenn die Wahrscheinlichkeit, überhaupt Karies zu finden, gering ist, so muss die Anwendung möglichst gut geeignet sein, falsch-positive Detektionen zu vermeiden – hier wäre die Spezifität also wichtiger! Umgekehrt ist für frühe Karies und das Ziel, diese durch nicht invasive Therapien zu arretieren, die Sensitivität eine wichtige Maßzahl! HIER KOMMT ES AUF DIE SENSIVITÄT AN Im Gegensatz zur Karies ist bei der Detektion oraler Plattenepithelkarzinome stets die Sensitivität wichtig. Eine KI-Anwendung, die Plattenepithelkarzinome auf fotografischen Abbildungen klassifiziert und von weniger gefährlichen Entitäten abgrenzt, sollte möglichst eine hohe Sensitivität aufweisen, unter anderem, weil es sich bei Plattenepithelkarzinomen um schneller voranschreitende, maligne Erkrankungen handelt und ein Übersehen im frühen Stadium für den Patienten lebensgefährlich werden kann. Anwender sollten also je nach Pathologie, deren Häufigkeit und Stadium und auch den Therapieoptionen unterschiedliche Maßzahlen entsprechend gewichten. Wenn ausgehend von einer falsch-positiven Detektion nur unschädliche Therapieoptionen gewählt würden, also zum Beispiel bei einer falsch-positiven Kariesdetektion stets nur Fluoridlack aufgetragen würde, so ist der Gesundheitsschaden für den Patienten minimal. Wird hingegen für jede falschpositiv detektierte kariöse Läsion eine Füllung platziert, ist der Schaden sowohl für den Patienten als auch für das Gesundheitssystem ungleich höher. FAZIT Es gibt keinen „Sollwert“ für die Sensivitität und Spezifität von KIModellen. Bei einer Erkrankung, die langsam voranschreitet, nicht gefährlich ist und auf die regelmäßig untersucht (gescreent) wird, sind höhere Spezifitäten (circa 90 Prozent oder mehr) möglicherweise wichtiger als Sensitivität. 90 Prozent Spezifität bedeutet, dass bei jedem zehnten Untersuchungsdurchgang etwas als krank erachtet wird, was eigentlich gesund ist – wenn regelmäßig untersucht wird, kann dies schnell relevant werden. Teilweise umgehen kann man die Gefahren einer Überdetektion, wenn zumindest die Therapie angepasst und eine wenig invasive Therapie gewählt wird. Insgesamt sollte immer die klinische Gesamtsituation berücksichtigt werden – und das können nur die Nutzer der KI-Software, nicht die KI selbst! Oft ist allerdings auch eine hohe Sensitivität notwendig, um eine frühe und wenig invasive Therapie wählen zu können. Die Anwender von KI sollten beide Metriken zusammen beurteilen und die Aspekte Prävalenz, Screeningintervall und Therapieoptionen im Hinterkopf haben. Generell gilt: Zahnärztinnen und Zahnärzte müssen ihre medizinischen „Sinne“ auch weiterhin geschärft halten – denn KI-Anwendungen nehmen uns ja nicht Interpretationen und Entscheidungen ab, sondern unterstützen diese nur. \ DR. RER. NAT. JOACHIM KROIS Abteilung für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung, CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mundund Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin Foto: privat Krankheit krank gesund Test positiv negativ Sensitivität Spezifität positiver Vorhersagewert negativer Vohersagewert A A+C D B+D A A+B D C+D Seltene Erkrankung krank 100 gesund 100000 positiv 1099 negativ 9901 Sensitivität Spezifität positiver Vorhersagewert negativer Vohersagewert 99 99+1 99000 99000+1000 99 99+1000 = 9 % 99000 1+99000 = 99,99 % = 99 % = 99 % Vierfeldertafel: Ausgehend von den wahr- und falsch-positiven und -negativen Detektionen kann man Sensitivität, Spezifität und Vorhersagewerte ableiten. Bei einer seltenen Erkrankung weist sogar ein Test mit exzellenten Testmetriken (rechts) einen extrem niedrigen positiven Vorhersagewert auf. Quelle: Falk Schwendicke ZAHNMEDIZIN | 75
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