zm112, Nr. 10, 16.5.2022, (959) – als ultima ratio – die Zahnextraktion beherrscht werden [European Society of Endodontology, 2006]. „Ubi pus, ibi evacua!“ – der lateinische Aphorismus wird häufig in vielen Bereichen der Medizin zitiert. Dieser Grundsatz trifft auch auf die Behandlung von akuten apikalen Abszessen zu. Der erste Weg der Behandlung sollte hier, wann immer möglich, über den Wurzelkanal gehen, um eine Drainage für den Pusabfluss zu schaffen (Abbildungen 1 und 2). Das nekrotische Pulpagewebe oder die bereits vorhandene Wurzelkanalfüllung gilt es von orthograd zu entfernen. Die Wurzelkanalpräparation kann die Drainage des Abszesses weiter unterstützen. Mittels der chemischen Desinfektion im Zuge eines suffizienten Spülprotokolls erfolgt eine weitere Elimination von Mikroorganismen und nekrotischem Pulpagewebe aus dem Wurzelkanallumen. Zur weiteren Desinfektion und zur Anhebung des pH-Wertes wird eine wässrige Kalziumhydroxideinlage in den Wurzelkanal eingebracht. Ein „Offenlassen“ des Zahnes nach der Schmerzbehandlung gilt es zu vermeiden, da sich Mikroorganismen aus der Mundhöhle im Wurzelkanal ansiedeln und nachfolgend zu einem Biofilm kolonialisieren können [Siren et al., 1997]. Lässt sich der Pusabfluss aus dem Wurzelkanal nicht stoppen, kann ein Zahn in Ausnahmefällen für maximal 24 Stunden offengelassen, am folgenden Tag in der Praxis endodontisch versorgt und mit einem provisorischen Verschluss versehen werden [Schäfer et al., 2021]. Bei einem bereits stark ausgebreiteten submukösen Abszess oder wenn ein suffizienter Abfluss über den Wurzelkanal nicht etabliert werden kann, kann eine Inzision zusätzlich zur Wurzelkanalaufbereitung indiziert sein. Wurde eine ausreichende Drainage geschaffen und erscheint weder der Allgemeinzustand des Patienten reduziert noch liegen beim Patienten spezifische Risiken vor, kann bei einer odontogenen Infektion und akutem apikalem Abszess ohne Ausbreitungstendenz auf eine Antibiotikatherapie verzichtet werden. Das Vorhandensein von Schmerzen ist ebenfalls keine Indikation für eine Antibiotikagabe. Bei einer symptomatischen apikalen Parodontitis, ausgehend von einer infizierten Pulpanekrose, führt ein Antibiotikum zu keiner Schmerzreduktion [Henry et al., 2001]. In einer Studie von Fouad et al. wurde kein signifikanter Unterschied zwischen Schmerzen und Schwellung nach einer endodontischen Therapie von apikalen Parodontitiden mit oder ohne eine begleitende Antibiotikatherapie nachgewiesen. Somit kann die Gabe eines Antibiotikums niemals eine Alternative zur endodontischen Therapie darstellen. Zusätzlich zur endodontischen Therapie ist eine unterstützende antibiotische Therapie bei den folgenden Fällen nicht indiziert [Segura-Egea et al., 2017; Segura-Egea et al., 2021¸ Longman et al., 2000]: \ Symptomatische irreversible Pulpitis (Abbildung 3) \ Pulpanekrose \ Symptomatische Parodontitis apicalis \ Chronischer apikaler Abszess und Zähne mit einer Fistel \ Akuter apikaler Abszess ohne systemische Beteiligung (lokalisierte fluktuierende Schwellungen) \ Postoperative Beschwerden/ Schmerzen \ Nach einer einzeitigen Wurzelkanalpräparation und Wurzelkanalfüllung bei einem Zahn mit infizierten Wurzelkanälen \ Zur Behandlung einer Paro-EndoLäsion WANN IST EINE SYSTEMISCHE ANTIBIOSE INDIZIERT? Eine unterstützende, systemische Antibiose in Kombination mit der endodontischen Kausalbehandlung ist in den folgenden Fällen indiziert [European Society of Endodontology, 2006]: \ bei einem apikalen Abszess bei gesundheitlich kompromittierten Patienten \ bei einem akuten apikalen Abszess mit systemischer Beteiligung \ bei progredienten Infektionen Entleert sich kein Eiter aus der Inzision oder über den aufbereiteten und gespülten Wurzelkanal und/oder liegen bei dem Patienten Risikofaktoren für eine mögliche Ausbreitungstendenz vor, so kann ein orales, systemisches Antibiotikum verabreicht werden [Heider et al., 2021; S3-Leitlinie „Odontogene Infektionen“, 2016]. Fieber aufgrund der odontogenen Infektion, ein reduzierter Allgemeinzustand, eine schnelle Ausbreitung des apikalen Abszesses in weniger als 24 Stunden, eine eingeschränkte Mundöffnung mit Schluckbeschwerden, die Entwicklung eines Logenabszesses oder erhöhte Leukozyten im Blutbild sprechen für eine schnelle Ausbreitungstendenz des Entzündungsherdes [Al-Nawas et al., Abb. 4: Klinische Situation nach Avulsion des Zahnes 21 bei einer 17-jährigen Patientin ZAHNMEDIZIN | 41
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