zm112, Nr. 10, 16.5.2022, (967) thromben begünstigt wird. Schließlich folgt die mikrobielle Kolonisierung, die zusammen mit der Auflagerung weiteren thrombotischen Materials und inflammatorischen Reaktionen zur Ausbildung von Vegetationen führt. Hierbei spielt die Bildung von Biofilmen auf implantierten Fremdmaterialien eine wichtige Rolle, da die eingebetteten Mikroorganismen durch immunologische Abwehrprozesse und auch Antibiotika weniger angreifbar sind. Die klinische Symptomatik ist variantenreich und wird bei subakuten und chronischen Formen vor allem durch rezidivierende Fieberschübe (aber auch subfebrile Temperaturen), Nachtschweiß, Abgeschlagenheit et cetera geprägt. Bei den akuten Verläufen stehen die akute Herzinsuffizienz, Embolisierungen und die Sepsis im Vordergrund [Raiani & Klein, 2020]. Die Diagnose wird anhand der sogenannten modifizierten Duke-Kriterien [Li et al., 2000] gestellt. In diesem Instrumentarium basieren die MajorKriterien auf bakteriologischen Nachweisen in der Blutkultur und den Ergebnissen verschiedener Bildgebungsverfahren, insbesondere der Echokardiografie. Weitere Bildgebungsverfahren wie Cardio-CT und PET-CT sind in den vergangenen Jahren hinzugetreten. Unter den Minor-Kriterien finden sich neben den klassischen kardialen Risiko-Prädispositionen Fieber, vaskuläre und immunologische Phänomene sowie serologische Infektionsnachweise. Die wesentlichen Säulen der Therapie sind die langzeitige (vier bis sechs Wochen!) hochdosierte intravenösantibiotische Behandlung und bei schweren Verlaufsformen chirurgische Maßnahmen zur Ausräumung thrombotischen Materials, zur Entfernung von Fremdmaterialien und zur Wiederherstellung der Klappenfunktionen. Trotz aller therapeutischen Entwicklungen hat sich die Prognose der akuten Endokarditis in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verbessert. Die Mortalität in der frühen Behandlungsphase liegt heute noch bei rund 20 bis 30 Prozent [Raiani & Klein, 2020; Cahill & Prendergast, 2016]. MIKROBIOLOGIE DER ENDOKARDITIS Zwischen 80 und 90 Prozent aller infektiösen Endokarditiden werden durch grampositive Kokken verursacht, wobei Staphylokokken (heute führend) und Streptokokken jeweils um 35 Prozent und Enterokokken zu gut zehn Prozent nachgewiesen werden können. Die HACEK-Gruppe (Hämophilus, Aggregatibacter, Cardiobacterium, Eikenella, Kingella) machen weitere rund drei Prozent aus, gefolgt von Candida-Spezies und vielen anderen seltenen Erregern [Cahill & Prendergast, 2016]. Das Keimspektrum spiegelt die typischen Eintrittspforten der Infektionen (kutan, oral/oropharyngeal und enterogen). KONZEPT DER ANTIBIOTISCHEN PROPHYLAXE Das Konzept der antibiotischen Endokarditisprophylaxe basiert letztlich auf der Annahme, dass die Gabe eines Antibiotikums zum Zeitpunkt einer Prozedur, die mit einer Keimeinschwemmung verbunden ist, die Bakteriämie vermindern kann und damit die Wahrscheinlichkeit einer Endokarditis verringert wird [Dayer & Thornhill, 2018]. Nachdem aufgrund der Seltenheit der Endokarditis ein methodisch stringenter Nachweis in Form einer prospektiv randomisierten Interventionsstudie bereits durch die erforderlichen (fünf- bis sechsstelligen) Probandenzahlen nicht praktikabel ist und auch aus ethischen Gründen schwer zu realisieren wäre, wurden Empfehlungen, beispielsweise in Leitlinien, über die Erkenntnisse aus ganz unterschiedlichen wissenschaftlichen Betrachtungen abgeleitet. Wesentliche Ansätze hierbei waren: \ tierexperimentelle Untersuchungen, in denen Endokarditiden induziert und mittels Antibiotikaprophylaxe verhindert wurden [Durack & Petersdorf, 1973]; \ Untersuchungen zur Häufigkeit und Intensität von Bakteriämien nach invasiven dentalen (und anderen) Prozeduren und die Verminderung/Vermeidung einer Bakteriämie unter Antibiotikaprophylaxe [Poveda-Roda et al., 2008; Lockhart et al., 2008; Lafaurie et al., 2019]; \ Fallkontrollstudien zur Häufigkeit von Endokarditiden mit beziehungsweise ohne antibiotische Prophylaxe [Horstkotte et al., 1986]; \ Registerstudien zur Häufigkeit bakterieller Endokarditiden mit beziehungsweise ohne antibiotische Prophylaxe bei Risikopopulationen [Tubiana et al., 2017]; \ Registerstudien zur Häufigkeit bakterieller Endokarditiden vor und nach Änderungen bei Leitlinien [DeSimone et al., 2012; DeSimone et al., 2012a; Dayer et al., 2015; Thornhill et al., 2018; Garg et al., 2019; Quan et al., 2020]. INDIKATIONEN ZUR ENDOKARDITISPROPHYLAXE (NACH NABER ET AL. 2007) Herzklappenersatz (mechanische und biologische Klappen) Patienten mit rekonstruierten Klappen unter Verwendung von alloprothetischem Material in den ersten sechs Monaten nach Operation Abgelaufene Endokarditis Unbehandelte (oder palliativ mit systemisch-pulmonalem Shunt operierte) zyanotische Herzfehler Operativ behandelte Herzfehler mit Implantation von Conduits (mit oder ohne Klappe) oder residuelle Defekte (das heißt turbulente Blutströmung) im Bereich des prothetischen Materials Erfolgreich operierte Herzfehler, sofern prothetisches Material eingebracht wurde (über sechs Monate) Patienten nach Herztransplantation mit gestörter Klappenfunktion Tab. 1, Quelle: Kunkel, 2021 ZAHNMEDIZIN | 49
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