zm112, Nr. 10, 16.5.2022, (969) lence (NICE) um. Unabhängig von der Risikoeinstufung wurde hier die Endokarditisprophylaxe im Zusammenhang mit zahnärztlichen Maßnahmen ab dem zweiten Quartal 2008 generell und später, ab 2016, in modifizierter Form „als Routinemaßnahme“ ausgesetzt. Einen weiteren Sonderweg beschreitet Japan seit dem Jahr 2017. Hier wird die Endokarditisprophylaxe bei hohen und moderaten Risiken empfohlen. DIE „POSTMODERNE“: ZU DEN FOLGEN DER US-EMPFEHLUNGEN Bereits nach wenigen Jahren wurden aus den USA Daten über die Folgen der geänderten Prophylaxestrategien publiziert, die auch im weiteren Verlauf reevaluiert und bestätigt wurden [DeSimone et al., 2012, 2015]. Danach hatte in den USA die Zahl der Endokarditisfälle, trotz einer deutlichen Reduktion der Indikationen zu einer antibiotischen Prophylaxe gemäß der Leitlinienänderung von 2007, nicht zugenommen. Methodisch wurde die Häufigkeit von Endokarditisfällen vor und nach der Publikation der AHA-Leitlinie durch die Arbeitsgruppe De Simone et al. anhand zweier unabhängiger Szenarien betrachtet. Zum einen wurden die Erkrankungsfälle aus einer geschlossenen Kohorte, dem sogenannten Rochester Epidemiology Project of Olmsted County, verfolgt. Hier handelt es sich um eine geografisch weitgehend isolierte Population, deren medizinische Daten im Rahmen des oben genannten Projekts longitudinal erfasst werden. Weitere Analysen verwendeten die Diagnosen der Nationwide Inpatient Sample Hospital Discharge Database. Hierbei handelt es sich um eine fortlaufende Erhebung von Patientendaten im Rahmen des sogenannten Healthcare Cost and Utilization Project (HCUP), die mit rund acht Millionen Datensätzen pro Jahr etwa 20 Prozent des gesamten stationären Behandlungsaufkommens der USA umfasst und als weitgehend repräsentativ für die Gesamtheit der stationären Patientenversorgung in den USA gilt. Sowohl in der Analyse von 2012 als auch in der Reevaluation von 2015 ergaben sich in diesen Szenarien keine Zunahmen in der Häufigkeit bakterieller Endokarditisfälle nach der Änderung der Prophylaxe-Empfehlungen. In der Datenerhebung des Rochester Epidemiology Project of Olmsted County lag die Erkrankungshäufigkeit an bakteriellen Endokarditiden von 2007 bis zuletzt 2013 niedriger als in den Zeiträumen vor der Änderung. Auch die Analysen der Daten der Nationwide Inpatient Sample Hospital Discharge Database gaben keine Hinweise auf eine Häufung von Endokarditisfällen nach der Deeskalation der Endokarditisprophylaxe, sondern im Gegenteil in der Langzeitbetrachtung tatsächlich sogar eine Reduktion der Endokarditis-Fallzahlen von 2003 bis 2011. Insofern hatten sich die in der Leitlinie 2007 formulierten Grundsätze in der praktischen Anwendung zunächst einmal bewährt. Dennoch gab es auch kritische Bewertungen der Entwicklung in den USA, da sich der abnehmende Trend in der Inzidenz von Endokarditiden, der sich von 2003 bis 2007 und damit vor der Deeskalation der Endokarditisprophylaxe deutlich erkennen „TIMELINE“ ENDOKARDITISPROPHYLAXE 1885 1909 1923 1935 1941 1955 um 1960 1960–2007 2007 2008 2015 2015 2016 2017 2018 2020 Tab. 4, Quelle: Kunkel, 2021 Erstbeschreibung der Endokarditis durch Osler Erkennen der Mundhöhle als potenzielle Eintrittspforte Invasive dentale Maßnahmen werden als Ursache vermutet Nachweis der Bakteriämie nach Zahnentfernung Erster Antibiotikaeinsatz zur Prävention Erste Empfehlung der American Heart Association (AHA) zur antibakteriellen Endokarditisprophylaxe Maximalempfehlungen zur antibakteriellen Endokarditisprophylaxe (intravenös über bis zu fünf Tage) Schrittweise Deeskalation der Intensität und der Indikationen Umfassende Aktualisierung der AHA-Leitlinie mit Beschränkung der Prophylaxe-Indikation auf „High Risk“-Populationen Empfehlung zur Beendigung der Endokarditisprophylaxe in der Zahnheilkunde durch das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) für das Vereinigte Königreich (UK) Nachweis eines signifikanten Anstiegs der Endokarditis-Fallzahlen nach Beendigung der Endokarditisprophylaxe im UK. Dagegen kein Anstieg in den USA unter selektiver Prophylaxe bei hohem Endokarditisrisiko Nachweis minimaler Risiken der Endokarditisprophylaxe mit Amoxicillin im UK: keine Todesfälle über 34 Jahre (später bestätigt in Frankreich über einen Zeitraum von 31 Jahren, 2019) Modifikation der NICE-Empfehlung: „not recommended“ wird zu „not routinely recommended“ und eröffnet daher die Möglichkeit zur Endokarditisprophylaxe als Einzelfallentscheidung Japanische Leitlinie führt Endokarditisprophylaxe auch bei moderaten Risiken weiter Endokarditis-Inzidenz in den USA sinkt langsamer als vor der Änderung der AHA-Prophylaxeempfehlungen von 2007 Weiter starker Anstieg der Endokarditis-Inzidenz in UK, ein Zusammenhang zur Beendigung der Endokarditisprophylaxe wird nun allerdings bestritten. Diskussion über eine anti-fungale Endokarditisprophylaxe ZAHNMEDIZIN | 51
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