zm112, Nr. 10, 16.5.2022, (972) Zur Bewertung von Risiken durch die Antibiotikaanwendungen im Zuge der Endokarditisprophylaxe hatten Thornhill und Dayer [Thornhill et al., 2015] die Daten des britischen National Health Service (NHS) hinsichtlich der unerwünschten Wirkungen und Komplikationen der antibiotischen Endokarditisprophylaxe ausgewertet. Nachdem es im NHS spezielle Verschreibungsformen für Amoxicillin beziehungsweise Clindamycin in Prophylaxe-Indikationen gibt, ließen sich prophylaxespezifische Komplikationen für Amoxicillin von 1980 bis 2014, das heißt über 34 Jahre und für Clindamycin bereits von 1969 bis 2014, das heißt über 45 Jahre auswerten [Thornhill et al., 2015]. Bei 2.961.900 Verschreibungen von Amoxicillin ist über 34 Jahre keine letale Komplikation nach Endokarditisprophylaxe beobachtet worden. Für Clindamycin ergaben sich über 45 Jahre bei 1.193.502 Verschreibungen 15 letale Komplikationen. Die Mehrzahl (13 von 15) dieser Todesfälle entstanden durch die für Clindamycin „typischen“ Clostridium-difficileassoziierten gastrointestinalen Komplikationen. Für Frankreich wurden über einen Zeitraum von 31 Jahren weder für Amoxicillin noch für Clindamycin letale Komplikationen nach Endokarditisprophylaxe beobachtet [Cloitre et al., 2019]. Insofern ist davon auszugehen, dass die Gefahr letaler anaphylaktischer Reaktionen auf Amoxicillin im Rahmen der Endokarditisprophylaxe deutlich überschätzt wurde und für die Indikationsstellung keine Bedeutung haben sollte. AKTUELLE EMPFEHLUNGEN IN DEUTSCHLAND In einer Vielzahl von Ländern wurden die Empfehlungen der AHA-Leitlinienrevision weitgehend inhaltsgleich umgesetzt oder in lokale Leitlinienempfehlungen übernommen. Beispiele sind die Adaptation der European Society of Cardiology [Habib et al., 2009] oder auch die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (DGK) und der Paul-EhrlichGesellschaft für Chemotherapie [Naber et al., 2007]. Im Kern wurden die Indikationen zur Endokarditisprophylaxe auf die Patientengruppe mit hohem Risiko begrenzt (Tabelle 1) und gleichzeitig die Durchführung generell auf eine einmalige präoperative Gabe eines oralen Antibiotikums reduziert. Über diese Patientengruppe hinaus sieht die deutsche Adaptation der Leitlinie eine Indikation auch bei denjenigen Patienten, die gemäß der bisherigen Leitlinienempfehlung eine Prophylaxe erhalten hatten und diese Prophylaxe nach Absprache mit ihrem Arzt fortführen möchten. Grundsätzlich wird eine Endokarditisprophylaxe bei allen Maßnahmen, die zu einer Bakteriämie führen können, empfohlen. Konkret sind das sämtliche invasive Maßnahmen und solche, die mit Manipulationen an der Gingiva, der periapikalen Zahnregion oder mit Perforationen der oralen Mukosa einhergehen [Hafner et al., 2020; Naber et al., 2007]. Antibiotikum der ersten Wahl bleibt seit dem Jahr 1990 Amoxicillin, wobei als orale Dosierung eine Einzeldosis von 2 g (bei Kindern 50 mg/kg) 30 bis 60 Minuten vor dem Eingriff beziehungsweise vor der Behandlungsmaßnahme, die eine Bakteriämie verursachen kann, empfohlen wird. Clindamycin in einer Dosierung von 600 mg (bei Kindern 20 mg/kg) wird nur für den Fall einer Penicillinallergie empfohlen. Alternativen zum Clindamycin stellen Cephalexin 2 g (bei Kindern 50 mg/kg) und Clarithromycin 500 mg (bei Kindern 15 mg/kg) dar. Sofern eine orale Einnahme nicht möglich ist, stellt Ampicillin 2 g i. v. UNIV.-PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. MARTIN KUNKEL Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum GmbH, In der Schornau 23–25, 44892 Bochum martin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de 1983–1991: Studium der Zahnmedizin und Medizin in Mainz 1989, 1994: Promotionen zum Doktor der Zahnmedizin und der Medizin 2002: Habilitation und „venia legendi“ für das Fach Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie 2003: Martin-Wassmund-Preis der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie 2004–2007: Leitender Oberarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Mainz 2005: Berufung auf die W 2-Professur für MKG-Chirurgie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. 2005–2014: Koordinator der Leitliniengruppe „Dentoalveoläre Chirurgie“ der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie seit 2008: Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Ruhr-Universität Bochum Reviewertätigkeit unter anderem für „International Journal of Cancer“, „Journal of Oral Investigations“, „European Journal of Surgical Research“ Foto: privat 54 | ZAHNMEDIZIN
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=