Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm112, Nr. 11, 1.6.2022, (1066) Patientengruppen (zum Beispiel generalisiertes Stadium III/IV der Parodontitis bei jungen Erwachsenen) erwogen werden. Die Leitliniengruppe betont, dass die für eine adjuvante Antibiotikatherapie infrage kommenden Patientenfälle in der Regel durch eine rasche Progressionsrate – oft in Abwesenheit von modifizierbaren Risikofaktoren – gekennzeichnet sind. Ein Beispiel für eine solche Patientin und deren Therapie zeigen die Abbildungen 1 und 2. Deshalb sollte die Behandlung dieser Hochrisikopatienten durch spezifisch fort- und weitergebildete Zahnärzte (zum Beispiel DG-PARO-Spezialisten für Parodontologie) durchgeführt werden. Die Zugänglichkeit zu dieser Versorgung sollte für die Patienten verbessert werden. Mit der Wahl der Antibiotikasubstanzen, der begrenzten Dauer und der Limitation auf eine Hochrisikogruppe jüngeren Alters sind wichtige Prinzipien von Antibiotic Stewardship berücksichtigt, wie sie in den aktuellen internationalen und nationalen Leitlinien und Empfehlungen der WHO, des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control), der Kommission ART (Antiinfektiva, Resistenz und Therapie) beim Robert KochInstitut (RKI) einschließlich der deutschen S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“ (AWMFRegister Nr. 092–001) beschrieben sind. ANTIBIOTIKA BEI CHIRURGISCHER PARODONTALTHERAPIE (STUFE 3) Nutzen Verbessern adjuvante, systemisch verabreichte Antibiotika das klinische Ergebnis der chirurgischen Parodontaltherapie? Häufig werden systemische Antibiotika auch während der Parodontalchirurgie und hier insbesondere im Rahmen regenerativer/rekonstruktiver Therapiemaßnahmen, bei denen Biomaterialien zum Einsatz kommen, verschrieben. Ziel ist es, dadurch postoperative Infektionen beziehungsweise Komplikationen zu vermeiden und die klinischen Ergebnisse zu verbessern. Erstaunlich ist allerdings, dass nur wenige Studien den Nutzen von Antibiotika in dieser Indikation untersucht haben. Dementsprechend gibt es auch keine Leitlinie, an der sich parodontalchirurgisch tätige Zahnärztinnen und Zahnärzte orientieren könnten. Es ist offenbar so, dass die Verschreibung von Antibiotika rein empirisch und oft auch aufgrund einer Patientenerwartung erfolgt [Liu et al., 2017; Hai et al., 2020]. Zu unterscheiden ist zwischen einer prophylaktischen, oftmals nur einmaligen, perioperativen systemischen Antibiotikagabe zur Vermeidung von Wundinfektionen (Surgical Site Infections – SSI) und einer mehrtägigen Antibiotikagabe ähnlich derjenigen im Rahmen der nicht-chirurgischen Therapie. Das Ziel der perioperativen Antibiotikaprophylaxe (PAP) ist, die Rate postoperativer Wundinfektionen durch Bakterien zu reduzieren, die während einer Operation ins OPGebiet gelangen oder dort schon vorhanden sind. Allgemein anerkannte Indikationen für eine PAP sind Eingriffe mit hohen Infektionsraten bei „sauber kontaminierten“ oder bei „kontaminierten“ Operationen sowie „saubere“ Eingriffe mit Einbringen alloplastischen Materials mit niedrigen Infektionsraten, jedoch gravierenden Folgen einer SSI. Laut dem neuesten Stand der Bundesvereinigung der Deutschen Chirurgen [Eckmann, 2021] sind bei der Auswahl und dem Einsatz eines Antibiotikums folgende Faktoren zu berücksichtigen: Patient (mit eventuellen Risikofaktoren), Art der Operation, zu erwartendes Erregerspektrum, lokale Resistenzepidemiologie, Pharmakokinetik und Halbwertszeit, Konzentration im Zielgewebe, Toxizität und Verträglichkeit, Vorliegen prospektiver, randomisierter, kontrollierter Studien sowie Kosten. Unstrittig ist die PAP bei Operationen mit hohen SSI-Raten (meist > 10 Prozent) wie beispielsweise kolorektalen Eingriffen. Ob eine PAP auch indiziert ist, wenn es sich um Eingriffe mit niedrigen (< 1–3 Prozent) SSI-Raten handelt wie in der Parodontalchirurgie, wird infrage gestellt [Powell et al., 2005; Liu et al., 2017]. Eine randomisierte klinische Studie über parodontalchirurgische Routineeingriffe mit oder ohne PAP konnte keinen zusätzlichen Nutzen nachweisen [Mohan et al., 2014]. Eine aktuelle Placebo-kontrollierte, randomisierte Studie ist der Frage nachgegangen, ob die einwöchige Gabe von Metronidazol (500 mg, dreimal täglich) die Ergebnisse parodontaler Zugangslappenoperationen verbessern könnte [Collins et al., 2022]. Insgesamt war die Inzidenz unerwünschter Ereignisse minimal, allerdings gaben 20 Prozent der Patienten der Antibiotikagruppe gastrointestinale Beschwerden an. In Bezug auf die klinischen Ergebnisse war kein zusätzlicher Nutzen der adjuvanten systemischen Antibiotikagabe zu beobachten und die Autoren kamen zu dem Schluss, dass somit in dieser Indikation keine systemischen Antibiotika angezeigt wären. Die andere häufige Anwendung von systemischen Antibiotika findet während der regenerativen Parodontalchirurgie statt. Diese Verfahren zielen DR. MED. DENT. SVEN WENZEL Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Zentrum für ZMK, Universitätsklinikum Bonn Welschnonnenstr. 17, 53111 Bonn und Zahnärztliche Praxisgemeinschaft für Parodontologie, Praxis Dr. Frank Bröseler, Gemeinschaftspraxis Dr. Christina Tietmann und Dr. Sven Wenzel Krefelder Str. 73, 52070 Aachen (Soers) Foto: privat PD DR. MED. DENT. KARIN JEPSEN Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Zentrum für ZMK, Universitätsklinikum Bonn Welschnonnenstr.17, 53111 Bonn Foto: UK Bonn 40 | ZAHNMEDIZIN

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