Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm112, Nr. 11, 1.6.2022, (1071) Stress, der sogenannte SOS-Reaktionen auslöst und wiederum eine fehleranfällige DNA-Replikation induziert, die zu Mutationen und Gentransfer führen kann [Andersson & Hughes, 2014]. Eine aktuelle Studie unserer Gruppe konnte zeigen, dass eine Behandlung von Streptococcus mutans mit subinhibitorischen Konzentrationen von CHX zu einer stark veränderten Regulation der Genexpression führte, wobei im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle die Expression von 404 Genen hochreguliert und von 271 Genen herunterreguliert war [Muehler et al., 2022]. Weitere Analysen dieser differentiell exprimierten Gene zeigten, dass bestimmte Signalwege signifikant unterschiedlich reguliert waren. So zeigte sich eine erhöhte Expression von Genen, die mit oxidativem Stress und Säure-Stress (vermutlich infolge des sauren pHWerts von CHX von 5,5) zusammenhängen. Darüber hinaus wurde eine Regulierung von Genen, die mit membrangebundenen Transportern und Efflux-Pumpen sowie einer verstärkten Biofilmbildung assoziiert sind, festgestellt, was zu einer möglichen Resistenzentwicklung beitragen könnte [Muehler et al., 2022]. Eine weitere aktuelle Studie unserer Gruppe zeigte zudem, dass auch subinhibitorische Konzentrationen verschiedener Antibiotika die Biofilmbildungsfähigkeit endodontischer Enterococcus-faecalis-Isolate erhöhen und somit eine ähnliche Wirkung wie CHX aufweisen [Bernardi et al., 2021]. Die genauen molekularen Mechanismen, die eine mögliche Resistenzentwicklung gegenüber CHX in oralen Bakterien bewirken sowie die Stressreaktion anderer oraler Bakterien bei Exposition gegenüber subletalen CHX-Konzentrationen sind jedoch weiterhin noch nicht gut verstanden [Cieplik et al., 2019]. RESISTENZEN GEGENÜBER CHX Interessanterweise wurden bereits ab 1972, also kurz nach der Einführung von CHX, drei Studien veröffentlicht, in denen über klinische Isolate von Streptococcus sanguinis berichtet wurde, die nach längerfristiger Anwendung von CHX-Mundspülungen oder -Gelen eine verringerte Empfindlichkeit gegenüber CHX aufwiesen, was damals jedoch als „relativ unbedenklich“ beurteilt wurde [Emilson et al., 1972; Schiøtt & Löe, 1972; Emilson & Fornell, 1976]. Einige Jahre später beschrieben Westergren und Emilson die Entwicklung einer Resistenz gegenüber CHX bei drei ursprünglich sensitiven Stämmen von Streptococcus sanguinis nach Dauerkultur in vitro in einem Fermenter mit steigenden CHX-Konzentrationen [Westergren & Emilson, 1980]. Bemerkenswerterweise blieb diese phänotypische Resistenz auch nach Unterbrechung des Selektionsdrucks bei Kultur in Medium ohne Zugabe von CHX stabil und die Zugabe extrahierter DNA aus diesen resistenten Mutanten führte bei sensitiven Streptococcus-sanguinis-Stämmen ebenfalls zu einer verminderten phänotypischen Empfindlichkeit gegenüber CHX, was auf Veränderungen der Stämme auf Genom-Ebene hinweist [Westergren & Emilson, 1980]. Beim Screening von 315 aus subgingivaler Plaque gewonnenen Isolaten hinsichtlich ihrer Empfindlichkeit gegenüber einer 0,2-prozentigen CHXMundspülung wurden zudem Hinweise auf eine sogenannte „relative Resistenz“ bei verschiedenen Vertretern der Gattungen Streptococcus und Capnocytophaga beschrieben [Wade & Addy, 1989]. Neben diesen älteren Studien zu klinischen Isolaten gab es in den vergangenen Jahren auch einige Invitro-Untersuchungen, die zeigten, dass sich orale Bakterien nach wiederholter Exposition gegenüber subinhibitorischen Konzentrationen von CHX zumindest phänotypisch adaptieren können [Kulik et al., 2015; Kitagawa et al., 2016; Wang et al., 2017; Verspecht et al., 2019; Schwarz et al., 2021]. So zeigten beispielsweise Kitagawa et al., dass die wiederholte Exposition von Enterococcus faecalis gegenüber CHX durch serielles Passieren (zehn Zyklen, in denen die Bakterien subinhibitorischen Konzentrationen von CHX ausgesetzt wurden und jeweils minimale Hemmkonzentrationen (MHKs) bestimmt wurden) zu einem kontinuierlichen Anstieg dieser MHKs führte. Diese adaptierten Bakterienzellen zeigten zudem Unterschiede in ihrer Oberflächenhydrophobizität, was auf Veränderungen in der Zytoplasmamembran hinweisen könnte, und wiesen ein verändertes Proteinexpressionsprofil auf [Kitagawa et al., 2016]. Zudem konnten auch von Wang et al. MHK-Anstiege bei E. faecalis, Streptococcus gordonii, Fusobacterium nucleatum und Porphyromonas gingivalis gezeigt werden [Wang et al., 2017]. Verspecht et al. verwendeten einen ähnlichen Versuchsaufbau und berichteten MHK-Erhöhungen gegenüber CHX und der quartären Ammoniumverbindung Cetylpyridiniumchlorid (CPC) bei verschiedenen Parodontitis-assoziierten oder Kariesassoziierten Bakterienspezies [Verspecht et al., 2019]. Zudem wurde auch hier bei den adaptierten bakteriellen Stämmen eine Zunahme der Hydrophobizität an der Zelloberfläche festgestellt [Verspecht et al., 2019]. In einer eigenen Studie wurde eine mögliche Adaptation von sechs oralen beziehungsweise dermalen Bakterienspezies gegenüber den AntiDAVID L. AUER Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Universitätsklinikum Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93053 Regensburg Quelle: UKR ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. ZAHNMEDIZIN | 45

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