Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm112, Nr. 11, 1.6.2022, (1075) die lediglich filtriert waren – die Kinder überlebten. Weitere erfolgreiche Behandlungen mit der neuen Phagentherapie bei Pest und Cholera folgten und lösten kurzfristig eine Euphorie aus, da damit anscheinend eine wirksame Therapieoption für die Behandlung von Infektionskrankheiten gefunden war. Unternehmen und Pharmafirmen stiegen in die Produktion und Vermarktung von Phagen ein. Umstritten war nur, was genau die Bakteriophagen waren – ein Enzym oder doch ein Lebewesen? Erst der Mediziner Helmut Ruska konnte 1939 diese Frage klären, als er mit einem Elektronenmikroskop den ersten Bakteriophagen sichtbar machte [Ruska, 1939]. Leider war nicht allen Forschenden die Spezifität der Phagen bewusst, was zu einer Inkonsistenz der Heilungsversuche führte. Denn Phagen sind meist spezifisch für bestimmte Stämme einer Spezies. Außerdem warf der Vermehrungszyklus Fragen auf, denn nicht alle Phagen lysieren die Bakterien. Temperente Phagen, die meist in inaktiver Form integriert ins bakterielle Genom vorliegen (Abbildung 2), wurden deshalb oft als wirkungslos angesehen. Die Produktion der Phagen bereitete ebenfalls Probleme. Eine Reihe weiterer ungeklärter Fragen (optimale Dosis, Stabilität, prozessbedingte Verunreinigungen) und schließlich die Entdeckung der Antibiotika als berechenbarere Therapiealternative ließ die bislang favorisierten Phagen in den Hintergrund treten [Häusler, 2003]. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erlebte die Phagentherapie allerdings noch einen Aufschwung. DysenteriePolyfagin® gegen Shigellen-Infektionen wurde 1939 von den Behringwerken bei Marburg/Lahn als erstes Phagenpräparat auf dem Markt gebracht. Ein weiteres Präparat TyphusPolyfagin® wurde für die Behandlung von Abdominaltyphus (SalmonellaInfektion) hergestellt. Um die Phagen bei oraler Einnahme zu stabilisieren und die Magensäure zu neutralisieren, wurde gleichzeitig Natriumbicarbonat eingenommen. Viele Soldaten wurden mit den neuen Präparaten behandelt, so dass sowohl Erfolge als auch Misserfolge (aufgrund der vorher genannten Probleme) berichtet werden konnten. Die ambivalenten Erfahrungen veranlassten die American Medical Association 1934 und 1941 dazu, ein vernichtendes Urteil über die Phagentherapie zu veröffentlichen [Eaton, 1934; Krueger, 1941]. Die Gutachten bezeichneten die Effekte der Phagentherapie als äußerst widersprüchlich, so dass Ärzte und Wissenschaftler gleichermaßen verunsichert waren. Die Effizienz einer neuen Medikamentenklasse – der Antibiotika – verdrängte die Phagentherapie in der westlichen Welt. Viele Bakterien konnten nun durch Penicilline, Sulfonamide oder andere neue Antibiotika behandelt werden, so dass die unberechenbare Phagentherapie nicht weiter angewendet wurde [Häusler, 2003]. Überdauert hat die Phagentherapie vor allem in Ländern der ehemaligen UdSSR. Der georgische Wissenschaftler Georgi Eliava, Direktor des bakteriologischen Laboratoriums in Tiflis, brachte durch seinen Aufenthalt 1918 am Institut Pasteur das nötige technische und wissenschaftliche Wissen mit in seine Heimat. Nach seiner Rückkehr nach Tiflis baute er sein Institut zu einer Hochburg der Phagentherapie aus. Er behandelte Patienten jedoch nicht mit einem einzigen Phagen, sondern mit einer Mischung aus Phagen (Cocktail), um die Probleme der Spezifität und Resistenzentwicklung zu umgehen. Heute heißt das Institut in seinem Gedenken Georgi-Eliava-Institut für Bakteriophagenforschung. In Georgien überlebte die Phagentherapie durch staatliche Förderung und in Ermangelung von Alternativen, da dort vor dem Zweiten Weltkrieg noch keine Antibiotika verfügbar waren. So stellte das Institut Phagen teils im großen Stil her: Gegen Abb. 1: Erscheinungsformen von Phagen der Ordnung Caudovirales: a: schematischer Aufbau von Phagen (von links nach rechts: Podoviren, Siphoviren, Myoviren), b: elektronenmikroskopische Aufnahmen (© Manfred Rohde, HZI), c: Plaquemorphologien von Phagen gegen E. coli Quelle: Manfred Rohde, Rieper, Korf, Wienecke, Ziehr a b c ZAHNMEDIZIN | 49

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