Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm112, Nr. 11, 1.6.2022, (1084) STUDIE AUS JENA UND BERLIN Putzen mit Probiotika reduziert gefährliche Bakterien stärker als Desinfektion Ein Team aus Jena und Berlin hat den Einfluss verschiedener Reinigungsregimes auf Menge, Vielfalt und Resistenzen von Bakterien in Klinikzimmern untersucht. Ergebnis: Bei der Anwendung eines probiotischen Reinigungsmittels nahm die Menge der üblichen Umgebungsmikroben im Vergleich zur Desinfektionsreinigung ab. Gleichzeitig wuchs die Artenvielfalt. Im vergangenen Jahr beschrieb das Team, wie in den Stationszimmern eines Klinikneubaus die von den Patienten mitgebrachten Bakterien die Umweltkeime nach und nach verdrängten und sich nach fünf bis sieben Wochen auf Türklinken, im Waschbecken und auf dem Fußboden ein jeweils typisches Keimspektrum ausbildete. Unter den Bakterienarten befanden sich auch Krankheitserreger, pathogene Keime nahmen aber nicht zu. Doch die Forscher fanden heraus, dasss sich mit der Zeit die auf dem Boden gefundenen Resistenzgene häuften. Anschließend analysierte das Team den Einfluss verschiedener Reinigungs- beziehungsweise Desinfektionsmethoden auf die Bakterienflora in den Klinikzimmern. „Bei der Anwendung von Desinfektionsmitteln auf Oberflächen wird zunehmend hinterfragt, ob die desinfizierende Wirkung zeitlich sehr begrenzt sein könnte, und ob sie gegebenenfalls sogar die Verbreitung von Resistenzen begünstigen könnte“, sagt PD Dr. Rasmus Leistner vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité. IM WASCHBECKEN WAR DIE GRÖßTE BAKTERIENMASSE „Es gibt Untersuchungen, die eine erneute Besiedelung von Oberflächen bereits eine halbe Stunde nach der desinfizierenden Reinigung nachweisen.“ Deshalb analysierte das Forschungsteam, ob und wie sich die Bakterienbesiedlung von Türklinke, Fußboden und Waschbecken ändert, wenn das Reinigungsmittel gewechselt wird. Nacheinander führte es für jeweils 13 Wochen die tägliche Flächenreinigung in neun Zimmern einer neurologischen Station der Charité mit einem üblichen Desinfektionsmittel, einem Haushaltsreiniger und einem probiotischen Reinigungsmittel durch, das mit verschiedenen Stäbchenbakterien angereichert ist. Nach einer sechswöchigen Umstellungszeit wurden wöchentlich Abstrichproben von Türklinke, Fußboden und Waschbecken genommen. Von den Patienten in den Zimmern wurden Nasen- und Rektalabstriche genommen. Mithilfe von Sequenzierungsverfahren und PCRAnalysen bestimmten die Forscher die Menge der Bakteriengemeinschaften und deren Artenzusammensetzung. In Bestätigung der früheren Ergebnisse fand das Team im Waschbecken die größte Bakterienmasse, gefolgt von der Türklinke. Im Vergleich der Reinigungsarten zeigte sich die jeweils ortstypische Umgebungsbesiedlung bei der probiotischen Reinigung leicht verringert, beim Waschbecken war der Effekt sogar deutlich. Die Auswertung der Mikrobenvielfalt ergab auf der Ebene der Bakterienfamilien zunächst die bereits zuvor gefundenen typischen Verteilungen für die drei Messorte, weitgehend unabhängig von der Art der Reinigung. DESINFEKTION REDUZIERT DIE MIKROBENVIELFALT Im Vergleich zur probiotischen Reinigung führte die Desinfektion auf den untersuchten Oberflächen aber zu einer deutlich geringeren Mikrobenvielfalt. „Wir beobachten in den Krankenzimmern eine signifikante Verschiebung der Umgebungsmikrobiota nach Anwendung einer probiotischen Reinigungsstrategie. Die daraus resultierenden Strukturen der mikrobiellen Ökosysteme sind komplexer und stabiler“, betont Erstautor Dr. Tilman Klassert vom Universitätsklinikum Jena. Das PatientenScreening belege, dass dieser Effekt tatsächlich von den Putzregimes herrühren muss. Das Team erfasste in den Proben auch zwölf Gensequenzen, die eine Resistenz gegen Antibiotika vermitteln. Durch die probiotische Reinigung traten Mikroben mit solchen Genen im Waschbecken deutlich seltener auf. „Der interessanteste Effekt, den das probiotische Reinigungsregime bewirkte, war eine signifikante Reduktion insbesondere jener Antibiotikaresistenzgene, die in den multiresistenten MRSA-Bakterien gefunden werden“, sagte die Jenaer Arbeitsgruppenleiterin Prof. Dr. Hortense Slevogt. Erstmals ist damit der positive Effekt eines probiotischen Reinigungsregimes in einer realen klinischen Umgebung quantitativ belegt. Das heißt, dass der gezielte Einsatz von für den Menschen unbedenklichen Bakterien eine stabile Mikrobenvielfalt fördert und einer bevorzugten Besiedlung mit gefährlichen Krankheitserregern entgegenwirken kann. mg Originalstudien: Klassert T.E. et al.: „Bacterial colonization dynamics and antibiotic resistance gene dissemination in the hospital environment after first patient occupancy: a longitudinal metagenetic study“, Microbiome 9, 169 (2021). https://doi.org/10.1186/s40168– 021–01109–7 Klassert T.E. et al.: „Comparative analysis of surface sanitization protocols on the bacterial community structures in the hospital environment, Clinical Microbiology and Infection“. Clin Microbiol Infect. 2022 Mar 7; S1198–743X(22)00109–4. doi: 10.1016/j.cmi.2022.02.032. Foto: Uta von der Gönna / UKJ 58 | ZAHNMEDIZIN

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