zm112, Nr. 11, 1.6.2022, (1085) INTERVIEW MIT DR. TILMAN KLASSERT „WIR ERLEBEN GERADE EINE REVOLUTION IN DER MIKROBIOLOGIE!“ Dr. Klassert, was passiert beim Putzen mit probiotischen Putzmitteln / Synbiotika? DR. TILMAN KLASSERT: Es handelt sich bei dieser Strategie um eine Reinigung mit Detergenzien, die mit Sporen von „gutartigen“ beziehungsweise nichtpathogenen Bakterien versehen sind. Diese Sporen sind nicht nur lebensfähig, sondern entfalten durch deren Repertoire an Enzymen auch eine reinigende Wirkung. Darüber hinaus – was noch wichtiger für die Krankenhaushygiene ist – kann die gezielte Besiedlung mit diesen Mikroben eine Kolonisierung der Oberflächen durch pathogene Keime reduzieren. Das ist die Theorie des neuen Hygienekonzepts. Unsere Studie konnte nun belegen, dass es nach der probiotischen Reinigung zu einer signifikanten Verdrängung des Umgebungsmikrobioms kam. Das bedeutet dann auch, dass potenziell pathogene Keime in dieser Flora reduziert werden könnten. Dieser Verdrängungseffekt war besonders im Vergleich zur herkömmlichen Desinfektionsreinigung signifikant gesteigert. Das klingt erst einmal kontraintuitiv, ist aber auf die Kürze der tatsächlichen Wirkung von Desinfektionsmitteln zurückzuführen. Der Einsatz von Probiotika könnte somit nicht nur nachhaltiger sein, sondern dessen Effekt auch langlebiger. Das ist besonders relevant in Gesundheitseinrichtungen. Unsere Gruppe konnte zudem kürzlich zeigen, dass der bakterielle Kolonisierungsprozess in Krankenhausräumen zu einem rapiden Anstieg der AntibiotikaResistenzgene auf Oberflächen führte. Dieser Anstieg konnte in unserer Folgestudie durch die Anwendung von Probiotika vermindert werden. Der Hersteller lobt Synbiotika schon heute als „die einzige wirklich nachhaltige und wirksame Lösung zur Aufrechterhaltung hervorragender Sauberkeit und zur Reduzierung antimikrobieller Resistenzen“. Wenn das stimmt, müsste das doch zu einer Revolution der Krankenhaushygiene führen, oder nicht? Tatsächlich erleben wir gerade eine Revolution, allerdings in der Mikrobiologie. Besonders durch die Fortschritte in der mikrobiellen Genomik und durch die neuartigen Sequenziertechniken hat sich unser Kenntnisstand zu Mikroben signifikant weiterentwickelt. Dies ermöglicht die aus Mikroben bestehende Ökologie unserer Umgebung besser zu verstehen und zugänglich zu machen. Im medizinischen Umfeld wird das menschliche Mikrobiom, also die Gesamtheit aller uns besiedelnder Keime, immer mehr als eine Art neu entdecktes „Organ“ wahrgenommen. Wir wissen immer mehr über die positive Auswirkung eines gesunden Mikrobioms auf die leibliche und seelische Gesundheit. Dadurch wird heute auch der Einsatz von Antibiotika viel gründlicher abgewogen. Diese Lehren aus der Medizin finden im Umgebungsmikrobiom immer mehr Anwendung, was wiederum unser Konzept einer gesunden Hygiene verändern könnte. Ein neues Hygienekonzept für Oberflächen könnte somit auf der Besiedlung durch ein gesundes Umgebungsmikrobiom beruhen statt auf einer kurzfristigen Desinfektionsstrategie. Um besser zu verstehen, was ein für den Menschen förderliches Umgebungsmikrobiom ausmacht und um es in seinen Funktionen zu verstehen, sind aber noch umfangreiche Forschungsarbeiten notwendig. Unsere Studie gibt erste Hinweise auf das Potenzial solcher Ansätze, die darauf beruhen, das Umgebungsmikrobiom nicht abzutöten, sondern gezielt zu modulieren. Allerdings muss dieses Potenzial noch mit randomisierten klinischen Studien belegt werden. Genau das untersuchen gerade unsere Partner an der Charité im Institut für Hygiene und Umweltmedizin unter der Leitung von Prof. Petra Gastmeier. Wir freuen uns darüber, die Zusammenarbeit zu diesen Themen in Zukunft fortsetzen zu können. Demnächst werden wir das von der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig aus umsetzen. Im Juli 2022 werden wir an diesen Standort wechseln und diese Themen in unserer dort neu gegründeten Forschungsgruppe „Respiratory Infection Dynamics“ im Team von Prof. Hortense Slevogt weiter vorantreiben. Welche Bedeutung hat der bisherige Erkenntnisstand für zahnmedizinische Kliniken und Praxen? Unsere Studie wurde zwar in einer Neurologie-Station durchgeführt, die Erkenntnisse sollten aber auf andere Gesundheitseinrichtungen übertragbar sein. Die zahnmedizinischen Einrichtungen könnten dabei besonders interessant sein. Unsere Studien haben gezeigt, dass die mikrobielle Kolonisierung der KrankenzimmerWaschbecken vor allem durch das orale Mikrobiom – beziehungsweise die Zahnhygiene – der Patienten beeinflusst wurde. Interessanterweise zeigte die probiotische Reinigung in unserer Folgestudie gerade im Waschbecken auch die ausschlaggebende Wirkung, sowohl in der Veränderung des Mikrobioms als auch in der Reduzierung der Antibiotika-Resistenzgene, die in den Mikrobiota nachweisbar waren. Es wäre daher sicher sehr interessant, unsere Studie in zahnmedizinischen Einrichtungen zu replizieren. Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, dass es möglicherweise zielführender ist, die mikrobiologische Ökologie unserer Umgebung zu verstehen und zu modulieren, als mit Desinfektionsmitteln zu versuchen, sie zu zerstören. Das Gespräch führte Marius Gießmann. Foto: Blu Dot ZAHNMEDIZIN | 59
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