Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm112, Nr. 11, 1.6.2022, (1100) Wohneinheiten kostenlos zur Verfügung, sondern ebenfalls seine fachliche Expertise, die vor allem im Bereich der durch betriebliche Arbeitsunfälle erworbenen Gesichts- und Kieferverletzungen lag [Geister, 2004: 48–49,65]. Aufgrund des wachsenden Platzbedarfs musste das Lazarett sukzessive erweitert werden [Bruhn, 1916:8–20; Geister, 2004:64–73; Ruff, 2015:37]. So avancierte das Düsseldorfer Kieferlazarett, neben dem von dem Zahnmediziner Hugo Ganzer (1879–1960) zwischen 1915 und 1923 geleiteten Berliner Speziallazarett für Gesichtsverletzte an der Kunsthochschule Charlottenburg, zu einem der reichsweit bedeutendsten Standorte zur Behandlung von kieferversehrten Soldaten [Gohritz et al., 2004,; Hoffmann-Axthelm, 1995:100]. Es umfasste schließlich fünf Abteilungen mit 650 Betten, ein 28-köpfiges interdisziplinäres Team aus Zahnärzten, Chirurgen, Internisten, Neurologen, Ophthalmologen und Otorhinolaryngologen sowie zahlreiche Pflegende. Bis Kriegsende behandelte man im Düsseldorfer Lazarett über 5.000 Patienten [Jonczyk, 1999:10–11]. Zu den häufigsten durchgeführten zahnärztlichen Maßnahmen zählten die Wiederaufrichtung des zertrümmerten Kiefergerüsts, die Festhaltung der richtiggestellten Kieferbrüche, die Bekämpfung der Kieferklemme, gesichtsorthopädische Maßnahmen sowie das Einsetzen von Prothesen [Bruhn, 1916:44–46]. Was sich hier so nüchtern darstellt, gestaltete sich in der Praxis für die Ärzte- und Zahnärzteschaft oftmals als experimentelle Versuchsreihe. So bot das „neue Material“ [Joseph, 1917, zitiert nach Ruff, 2015:40] die Möglichkeit nicht nur neue Behandlungsmethoden zu erproben, sondern alte weiterzuentwickeln und zu perfektionieren [ebd.]. Für die Betroffenen aber war es eine Tortur. Am Standort Düsseldorf wurden etwa neue Transplantationsverfahren zur therapeutischen Behandlung der Gesichtsweichteildefekte bei Kieferschussverletzungen erprobt und entwickelt [Halling, 2017:48, Jonczyk, 1999:25]. WIE PLATIN: STAHLGEBISSE DER FIRMA KRUPP Die entsprechende Expertise für die Herstellung von Prothesen brachte Friedrich Hauptmeyer (1882–1950) ein. Hauptmeyer war seit 1904 Assistent und ab 1910 Leiter der Kruppschen Zahnklinik in Essen. Er beriet Bruhn bereits zu dieser Zeit bei schwierigen Fällen im Kontext betrieblich erworbener Gesichts- und Kieferverletzungen [Mayer, 1967:9; Witzel, 1904:22]. So oblag Hauptmeyer in der Betriebsklinik der Essener Gussstahlfabrik die zahnmedizinische Versorgung der zahnkranken Stahlarbeiter. Wurde bei einem Unfall, beispielsweise durch „mechanische Gewalt“ [Witzel, 1904, 65], ein Kiefer verletzt, so dass Teile der Knochensubstanz verloren gingen, versorgte man die Patienten mit entsprechenden Prothesen. Während die ersten noch aus Kautschuk gefertigt wurden, ging man später dazu über – und dafür ist Hauptmeyer in die Geschichte der zahnärztlichen Prothetik eingegangen – Prothesen aus nichtrostendem Stahl (Wipla: „Wie Platin“) zu fertigen [ebd.; Schmidt, 2014:36–38]. Aufgrund seiner orthopädisch-prothetischen Fertigkeiten, wurde er 1914 ans Düsseldorfer Kieferlazarett abkommandiert [Hoffmann-Axthelm, 1995:100]. WARUM DAS KIEFERLAZARETT IN DÜSSELDORF WICHTIG WAR Am Ende des Krieges zählte man auf deutschem Reichsgebiet rund 49 Kieferlazarette. Der überwiegende Teil davon war jedoch als Übergangsraum mit einem zeitlichen Charakter konzipiert und wurde nach Kriegsende wieder aufgelöst [Ruff, 2015:39–49]. anders sollte sich das Schicksal des Düsseldorfer Lazaretts gestalten. Wohl um die Bedeutung einer stationären Abteilung am zahnärztlichen Institut wissend, initiierte Bruhn bereits 1917 die Gründung des BürgerAUSDIFFERENZIERUNG DER FACHZAHNÄRZTE 1924 1935 1942 1951 1961 1975 1975 1977 1976 1983 2008 Tab. 1, Quelle: Groß, 2019:153–155 und Staehle, 2010:210–211 Facharzt für „Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“; (Doppelapprobation und dreijährige Fachausbildung) „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ und „Fachzahnarzt für Kieferchirurgie“ Umbenennung „Fachzahnarzt für Kieferchirurgie“ in „Fachzahnarzt für Kieferkrankheiten“ doppelapprobierte und weitergebildete Kieferchirurgen = „Facharzt für Kiefer- und Gesichtschirurgie“ (BRD) „Fachzahnarzt für allgemeine Stomatologie“; „Fachzahnarzt für Kinderstomatologie“ (DDR) „Facharzt für Oralchirurgie“ und „Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen“ (BRD) „Fachzahnarzt für orthopädische Stomatologie“ und „Fachzahnarzt für Sozialhygiene“ (DDR) Umbenennung „kieferchirurgische Facharzt“ (Doppelapprobation) in „Fachzahnarzt für Kieferchirurgie“ (DDR) „Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie“ (BRD) „Fachzahnarzt für Parodontologie“ (Geltungsbereich; Landeszahnärztekammer Westfalen-Lippe) „Fachzahnarzt für Allgemeine Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde“ (Geltungsbereich der Landeszahnärztekammer Brandenburg) 74 | GESELLSCHAFT

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