Tempo dahin zu entwickeln. Mündige und eigenverantwortliche Mitarbeiter erzeugen automatisch ein höheres Diskussionspotenzial beziehungsweise stellen eher etwas infrage als bei einer direktiven oder autoritären Führung.“ „IRGENDWANN IST MAN ALS ZFA SCHMERZBEFREIT“ Die ZFA Birte Rutkowski weiß, wie es gut laufen kann und wie nicht. Sie hat in mehreren Hamburger Praxen gearbeitet, in ländlich gelegenen, in Einzelbehandlerpraxen, in Mehrbehandlerpraxen und auch in einem MVZ. Oft konnte sie schon aus dem ersten Eindruck ableiten, was sie erwarten würde, berichtet sie. „Ich habe mich in Praxen vorgestellt, die mir nicht mal die Räumlichkeiten gezeigt haben. Dabei möchte ich doch meinen zukünftigen Arbeitsplatz kennenlernen.“ Einmal habe sie einen Vorstellungstermin erlebt, wo der Chef sie direkt nach einer Behandlung in dem Raum empfing, mit noch nassen Händen ihre Mappe von einer Tischseite auf die andere legte, ohne sie zu lesen, und dann einfach nur fragte „Wann können Sie anfangen, was wollen Sie verdienen?“. Als erfahrene ZFA bezeichnet sie sich inzwischen als „schmerzbefreit“. Sie habe tatsächlich in der Praxis angefangen. „Ich habe meine Prinzipen über den Haufen geworfen, weil ich gemerkt habe, wie sehr mein damaliger Chef Mitarbeiter brauchte und dass ihm aus dieser Not heraus die Wahrung der Form egal war. Das sollte aber natürlich nicht die Regel sein. Ausgehalten habe es in dieser Praxis dann sieben Monate“, berichtet sie. Es sei einfach unmöglich gewesen, Struktur und Ordnung in den Praxisalltag zu bringen. „Für mich zählt eigentlich schon der erste Eindruck für einen gelungenen Neubeginn und das Gefühl, hier auch länger anzukommen“, so Rutkowski. Dazu gehörten auch vermeintlich kleine Gesten, etwa ob vor Arbeitsbeginn nach der Konfektionsgröße gefragt wird, damit die Praxiskleidung passend bestellt werden kann. „Es gibt kaum etwas Geringschätzenderes, als einer neuen Mitarbeiterin gebrauchte Kleidung anzubieten!“ Zuwider ist ihr auch, wenn ihr das Gefühl vermittelt wird, sie müsste ab dem ersten Tag alles alleine schaffen. Eine Einarbeitungszeit von vier Wochen braucht ihrer Ansicht nach auch eine erfahrene ZFA. An ihre Grenzen komme sie, wenn sie für blöd gehalten wird: „Wie soll ich mich da angekommen fühlen?“ Unstimmigkeiten entstünden etwa, wenn es keinen Ansprechpartner oder Vertretungskollegen gibt oder wenn versäumt wird, eine neue Kollegin vorzustellen. Überstunden findet sie nur im Ausnahmefall gerechtfertigt, dafür flexiblere Arbeitszeiten und klare Urlaubsregelungen. Was hält sie sonst langfristig für wichtig? „Klare Linien und Strukturen. Und einen Chef, der mit gutem Beispiel vorangeht und seine Mitarbeiter mit ins Boot holt“, sagt Rutkowski. Dabei helfe ihrer Erfahrung nach eine gemeinsame Vision, an deren Umsetzung alle Spaß haben. Jeder soll Verantwortung in seinem klar definierten Bereich übernehmen dürfen. Immer wenn eine gute Leistung erbracht wurde, sollte auch gelobt werden – das möchte sie Praxisführern gerne mitgeben. Und ganz klar: Karriereperspektiven. „Unser Beruf und das Umfeld sind so abwechslungsreich. Wenn man uns zeigen kann, dass und wie wir wachsen können, pusht das ungemein.“ „WERTSCHÄTZUNG SOLLTE GROßGESCHRIEBEN WERDEN“ Gründe zu bleiben seien zum einen konstruktive Feedback- und Mitarbeitergespräche, um auf Fehler, Stärken und Potenziale aufmerksam gemacht zu werden. „Anstatt gar nicht oder hinten rum zu erfahren, dass Unzufriedenheit herrscht.“ Auch gute Arbeitsmaterialien schätze sie. Und natürlich den richtigen Spirit im Team: „Als Praxisführung muss man sich bewusst sein, dass man die Praxis nur gemeinsam im Team erfolgreich führen kann. Der Chef muss in der Lage sein, Aufgaben delegieren zu können. Er muss authentisch und verlässlich sein. Er sollte sich für die Belange seiner Mitarbeiter interessieren oder diese Aufgabe an eine geeignete Mitarbeiterin abgeben. Wertschätzung sollte großgeschrieben werden. Nichts im Leben ist selbstverständlich. Ein Team ist mehr als eine Ansammlung von Menschen. Es ist ein Prozess des Gebens und Nehmens.“ Wenn alle zusammenarbeiten und -halten, könne ein Gemeinschaftsgefühl entstehen und aus der Praxis ein erfolgreiches Unternehmen werden, in dem sich jeder verstanden fühlt und gerne bleibt. \ ZFA Birte Rutkowski erzählt: „Das Netzwerk der ZFA ist ziemlich groß und engmaschig dank Internet und Social Media. Hier spricht sich auch herum, wenn es Praxen gibt, die dauerhaft suchen, weil ihr Ruf in Bezug auf den Mitarbeiterumgang ruiniert ist.“ Foto: Birte Rutkowski „Es gibt kaum etwas Geringschätzenderes, als einer neuen Mitarbeiterin gebrauchte Kleidung anzubieten!“ ZFA Birte Rutkowski zm112, Nr. 12, 16.6.2022, (1169) PRAXIS | 39
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