zm112, Nr. 12, 16.6.2022, (1176) 0 70 60 50 40 30 20 10 pro Tag) [Moßhammer et al., 2016]. Während 56 Prozent aller Patienten in einer allgemeinzahnärztlichen Ambulanz zumindest ein Medikament regelmäßig einnahmen [Cutfield und Tong, 2012], lag in einer aktuellen Studie bei 43 Prozent aller über 60-jährigen Patienten eine Polypharmazie vor. Der Median lag bei vier Arzneimitteln [Halling und Weigl, 2022]. Der kombinierte Einfluss des Alters und von Art und Häufigkeit der Dauermedikation auf das Auftreten der Xerostomie wurde in den Studien von Thomson et al. in Neuseeland untersucht [Thomson et al., 2000, 2006]. Die Ergebnisse zeigen, dass die Prävalenz der Xerostomie mit steigender Anzahl der Medikamente und dem Alter zunimmt (Abbildung 4). DIE ANTICHOLINERGE AKTIVITÄT VERSCHIEDENER ARZNEIMITTEL Eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung der Medikation im Hinblick auf die Speichelproduktion scheint dem anticholinergen Effekt verschiedener Arzneimittel zuzukommen. Arzneimittel mit anticholinergen Eigenschaften sind oft Teil verschiedener, nicht selten inadäquater Medikationen geriatrischer Patienten [Mintzer und Burns, 2000]. Eine Häufung der anticholinergen Aktivität durch Multimedikation führt zur sogenannten „anticholinergic burden“ (anticholinerge Last). Mittlerweile wurden verschiedene Risikoskalen erstellt, die die anticholinerge Potenz von Arzneistoffen vergleichen und zur Ermittlung der anticholinergen Gesamtbelastung herangezogen werden können [Durán et al., 2013]. In einer Übersichtsarbeit von Kiesel und Mitarbeitern wurde eine praxisorientierte Einteilung nach drei anticholinergen Risikoklassen für knapp 500 häufig verordnete Medikamente in Deutschland vorgestellt [Kiesel et al., 2018]. Die Analyse der Autoren ergab, dass immerhin 104 Wirkstoffe einen „schwachen“ (Risikogruppe 1), 18 einen „moderaten“ (Risikogruppe 2) und 29 einen „starken“ anticholinergen Effekt (Risikogruppe 3) besitzen. In der Risikogruppe 3 finden sich vor allem Psychopharmaka (Antidepressiva und Anti-Parkinson-Mittel) sowie Antihistaminika. Die aktuell sehr häufig verordneten Antidepressiva sind in den meisten Fällen mit einer starken Mundtrockenheit assoziiert. Frühere Gruppen der Antidepressiva, zu denen hauptsächlich die trizyklischen Antidepressiva (TCA) zählen, hemmen durch eine Inaktivierung der Acetylcholin-Rezeptoren die Speichelsekretion. Die Xerostomie resultiert hier aus der fehlenden Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin [Scully, 2003]. Auch die neueren Antidepressiva, zu denen die selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) zählen, führen zu einer Mundtrockenheit. Jedoch zeigen Metaanalysen niedrigere Xerostomieprävalenzen für Patienten mit SSRI-Einnahme gegenüber denjenigen mit TCA-Einnahme [Wilson und Mottram, 2004]. Nach Kiesel und Mitarbeitern kann die „gesamte“ anticholinerge Last eines Patienten durch die Addition der anticholinergen Scores aller verordneten Arzneistoffe ermittelt werden. Damit ist es auch für Zahnmediziner einfacher abzuschätzen, ob und in welcher Ausprägung eine medikamentenassoziierte Xerostomie vorliegen könnte. In Tabelle 1 sind die gängigen Wirkstoffe mit xerogener Wirkung zusammengefasst. MUNDTROCKENHEIT ALS UNERWÜNSCHTE ARZNEIMITTELWIRKUNG Nebenwirkungen von Arzneimitteln finden besonders dann Beachtung, wenn sie schwerwiegend sind und objektivierbare Befunde darstellen. Nebenwirkungen, die wie die Xerostomie eher in den Bereich der Missempfindungen oder Befindlichkeitsstörungen eingeordnet werden, sind weit weniger gut untersucht und dokumentiert [Schoenmakers et al., 2017]. 0 2 1 3 5 4 6 7+ Prävalenz der Xerostomie (in %) Medikamenteneinnahme/Patient/Tag Prävalenz der Xerostomie in Abhängigkeit von der Anzahl der regelmäßig eingenommenen Medikamente Quelle: Frank Halling, modifiziert nach [Nederfors et al., 1997] ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Abb. 3 46 | ZAHNMEDIZIN
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=