Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm112, Nr. 12, 16.6.2022, (1179) des Präparats verbunden, kann die Mundtrockenheit nur in gewissen Grenzen, etwa durch Dosisanpassung oder Veränderung der Einnahmefrequenz vermieden werden [Foth, 1999]. In anderen Fällen ist dieser Effekt unabhängig von der pharmakologischen Hauptwirkung und tritt dann auch eher sporadisch auf. In solchen Fällen ist es durchaus möglich, dass der Zahnarzt beim behandelnden Hausarzt des Patienten ein Ausweichen auf ein anderes Präparat als kausale Therapiemöglichkeit der Mundtrockenheit ansprechen sollte. Nach Absetzen der entsprechenden Präparate ist die medikamenteninduzierte Xerostomie in der Regel reversibel [Tschoppe et al., 2010]. Diese unerwünschten Effekte haben speziell für ältere Patienten große Bedeutung, da sie bei einem oftmals reduzierten Zahnbestand zu Beeinträchtigungen der Kau- und Schluckfähigkeit führen (zum Beispiel durch schlechte Prothesenhaftung). Außerdem verändern sich das Geschmacksempfinden und damit die Essgewohnheiten, es vermindert sich generell die Esslust [Löser et al., 2007; Klimek, 2012; Barbe, 2020]. Nicht selten berichten Patienten mit Xerostomie von zusätzlichen Schluckbeschwerden. Auch eine Dysphagie kann langfristig zu einer reduzierten Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme mit konsekutiver Mangelernährung führen [Barbe, 2020]. Mundtrockenheit wird auch immer wieder bei übermäßigem Gebrauch von Genussmitteln wie Alkohol und beim Missbrauch von illegalen Drogen wie Cannabis oder Amphetaminen beobachtet. Bei der Einnahme wird in über 95 Prozent von einer subjektiv empfundenen Mundtrockenheit berichtet [McGrath und Chan, 2005]. MEDIKAMENTENINDUZIERTE SIALORRHÖ UND HYPERSALIVATION Einige Pharmaka induzieren auch eine Sialorrhö oder Hypersalivation (Tabelle 2). In der Altersgruppe von 18 bis 70 Jahren liegt der Referenzbereich für die Hypersalivation für den Ruhespeichel bei 1 ml/min und für den stimulierten Speichel bei 3,5 ml/min [Jackowski und Benz, 2020]. Die Parasympathomimetika Carbachol und Pilocarpin (lokale Antiglaukommittel) regen als direkte muscarinerge Agonisten die Speichelproduktion über die Muscarinrezeptoren an. Inhibitoren der Acetylcholinesterase (indirekte muscarinerge Agonisten) wie Neostigmin und Pyridostigmin, die bei der Behandlung der Myasthenia gravis eingesetzt werden, wirken indirekt parasympathomimetisch, indem sie den Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin an den muscarinergen Synapsen verhindern. Das sogenannte „Drooling“ aufgrund mangelnder Speichelkontrolle tritt meist als Folge neurologischer Störungen auf und ist weniger auf eine Hypersalivation zurückzuführen [Miranda-Rius et al., 2015]. Dieses klinische Symptom können auch antidopaminerge Wirkstoffe auslösen, indem sie eine Bradykinesie hervorrufen und damit die Schluckfrequenz reduzieren. Typische Vertreter dieser Gruppe sind ältere Antipsychotika wie Haloperidol, während „neuere“ atypische Antipsychotika wie Clozapin, Risperidon und Olanzapin diese extrapyramidale Nebenwirkung seltener zeigen [Miranda-Rius et al., 2015]. Werden Benzodiazepine in hohen Dosen zur stärkeren Sedierung eingesetzt, kann dies ebenfalls ein „Drooling“ durch Veränderungen des Schluckvorgangs auslösen [Freudenreich, 2005]. FAZIT Xerostomie oder Hyposialie sind ein weit verbreitetes Krankheitsbild, das nicht selten durch Medikamente ausgelöst wird. Dies führt im Gegensatz zur gelegentlichen oder nur subjektiven Mundtrockenheit bei den betroffenen, meist älteren Patienten zu einem starken Leidensdruck. Eine sehr häufige Ursache für die verringerte Speichelproduktion ist die Einnahme bestimmter Medikamente. Die Einordnung und Bewertung der medikamentös induzierten Xerostomie ist gerade für den Zahnarzt vor dem Hintergrund einer zunehmenden Polypharmazie von besonderer Bedeutung. Eine Sialorrhö ist häufiger ein Begleitsymptom neurologischer Erkrankungen als eine unerwünschte Arzneimittelwirkung. Die zahnmedizinische Betreuung der Patienten mit medikamentös induzierter Mundtrockenheit sollte darauf abzielen, im interdisziplinären Austausch mit allen verordnenden medizinischen Fachkollegen geeignete Strategien (zum Beispiel Dosisreduktion, Umstellung oder Absetzen der verursachenden Wirkstoffe) zu entwickeln, um die Lebensqualität der Patienten positiv zu beeinflussen. \ WIRKSTOFFE, DIE EINE ARZNEIMITTELINDUZIERTE SIALORRHÖ AUSLÖSEN KÖNNEN Anwendungsbereiche Antipsychotikum Reduktion des Augeninnendrucks Atonie der Harnblase Myasthenia gravis Morbus Alzheimer Tab. 2, Quelle: Frank Halling, modifiziert nach [Jahn und Worek, 2008] Pharmazeutische Wirkstoffgruppe Neuroleptika Direkter cholinerger Agonist Direkter cholinerger Agonist Indirekter cholinerger Agonist Indirekter cholinerger Agonist Wirkstoffe Clozapin, Risperidon, Olanzapin Pilocarpin, Carbachol Bethanechol Pyridostigmin, Neostigmin Donepezil, Galantamin ZAHNMEDIZIN | 49

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