Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm112, Nr. 12, 16.6.2022, (1211) körpereigenes Vitamin D3 nach UVLichtexposition) keinen signifikanten Einfluss auf die Reduktion des Kariesrisikos hatte [Hujoel et al., 2013]. Zwei Studien konnten zeigen, dass Kinder, die in einem Klassenzimmer mit Vollspektrum-Licht unterrichtet wurden, einen signifikant niedrigeren Anstieg des DMFS-Scores hatten beziehungsweise eine signifikant niedrigere Kariesinzidenz an Sechsjahresmolaren, verglichen mit Kindern, die während der gleichen Zeit mit konventionellem Licht beleuchtet wurden [Hargreaves et al., 1989; Mayron et al., 1975]. Vorangegangene Tierstudien haben bei Hamstern ebenfalls eine signifikante Reduktion der Kariesinzidenz nach Bestrahlung mit ultraviolettem Licht festgestellt [Plathner et al., 1959]. Die kariesprotektiven Effekte von ultraviolettem Licht, die in den Studien gezeigt werden konnten, sind möglicherweise auf eine vermehrte endogene Synthese von Vitamin D zurückzuführen. Aufgrund des Studiendesigns konnte jedoch keine Kausalität von Vitamin D und Kariesschutz bewiesen werden. Moderne Studien, die bei der Diagnostik über das Bestimmen der 25(OH)-VitaminD-Serumspiegelkonzentration verfügten, konnten zeigen, dass bei Kindern mit einem höheren 25(OH)- Vitamin-D-Serumspiegel eine signifikant verringerte Rate an zahnärztlichen Behandlungen unter Narkose durchgeführt wurden, im Vergleich zu Kindern mit niedrigeren Serumspiegeln. [Dudding et al., 2015] Außerdem konnte bei Kindern mit einem 25(OH)-Vitamin-D-Serumspiegel von über 50 nmol/L eine signifikant verringerte Kariesinzidenz festgestellt werden [Schroth et al., 2015]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Carvalho Silva et al., jedoch hatten die Kinder bei einem Wert von unter 75 nmol/L bereits ein signifikant höheres Risiko, eine Karies im bleibenden Gebiss zu haben [Carvalho Silva et al. 2021]. Neben den zuvor beschriebenen kariesprotektiven Effekten von Vitamin D wurde ebenso eine signifikant verringerte Rate von Molaren-InzisivenHypomineralisationen (MIH) an bleibenden Zähnen bei Kindern mit höheren 25(OH)-Vitamin-D-Serumspiegeln festgestellt [Kühnisch et al., 2015]. WANN LIEGT EIN VITAMIN-DMANGEL VOR? Serum 25 (OH) D (1 ng/ml = 2,5 nmol/l) ist das Barometer für die medizinische Laborbewertung des Vitamin-D-Status (Abbildung 3). Ein Blut-25(OH)-Vitamin-D-Serumspiegel unter 25 nmol/l gilt als ‚ mangelhaft‘, da er mit der Entwicklung einer Rachitis in Verbindung gebracht wird [Holick et al., 2007]. Darüber hinaus gibt es nur wenig Übereinstimmung darüber, wie hoch ein ‚ normaler‘ Blut-Vitamin-D-Spiegel sein sollte; eine Vereinbarung oder Standarddefinition fehlt [Cashman et al., 2017]. Die fehlende Übereinstimmung führt international zu unterschiedlichen Definitionen und einer breiten Palette von Bewertungen hinsichtlich des Vitamin-D-Status‘, beispielsweise zu Begriffen wie „Mangel“, „Unzulänglichkeit“, „Angemessenheit“ und „optimal“. Ungefähr 20 bis 100 Prozent der älteren US-amerikanischen, kanadischen und europäischen Männer und Frauen haben gemäß der Definition des amerikanischen Institute of Medicine (IOM) einen Vitamin-D-Mangel [Holick et al., 2007]. Kinder, junge und mittlere Erwachsene haben das gleiche Risiko, an Vitamin-D-Mangel oder -insuffizienz zu leiden. Außerdem besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass postmenopausale und ältere Bevölkerungsgruppen weltweit häufig unzureichende Vitamin-DSerumspiegel aufweisen [Hilger et al., 2014]. 80 Prozent der Jugendlichen aus neun europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, wiesen einen suboptimalen 25(OH)-D-Wert auf. 27 Prozent hatten einen Mangel (27,5–49,9 nmol/l) und 15 Prozent hatten einen starken Mangel (< 27,5 nmol/l) an 25(OH)-Vitamin-D [Singh et al., 2006]. Es besteht somit eine große Wahrscheinlichkeit, unter einem VitaminD-Mangel oder einer suboptimalen Vitamin-D-Versorgung zu leiden, unabhängig vom Alter. Denn neben Babys, Kleinkindern, Jugendlichen, Schwangeren und Stillenden, jungen Frauen [Singh et al., 2006] und Senioren (65+) [Crowe et al., 2011] leiden häufig auch Personen, die wenig bis gar keinem Sonnenlicht ausgesetzt [Cashman et al., 2014] oder stark pigmentiert sind [Holick et al., 2004] unter einem verringerten Vitamin-DSpiegel. Hinzu kommen Veganer und Vegetarier [Crowe et al., 2011], Menschen mit Adipositas, einem hohen Body-Mass-Index (BMI) [Souberbielle et al., 2006] und einer eingeschränkten oder monotonen Ernährung. Insbesondere Menschen, die sich aus sozialen oder gesundheitlichen Gründen kaum oder gar nicht im Freien aufhalten und der Sonneneinstrahlung aussetzen (können), sind bezüglich einer Vitamin-D-Unterversorgung gefährdet und könnten von einer Vitamin-D-Substitution profitieren. Kleinkinder und Babys können im Hinblick auf ihren zukünftigen intraoralen Status auch von einer systematischen Vitamin-D-Substitution profitieren, da Vitamin D nicht nur die Entwicklung der Knochen, sondern auch die Entwicklung der Zähne, der Milchzähne und der bleibenden Zähne beeinflusst. Die Vitamin-D-Substitution hat das Potenzial, diese Entwicklung zu unterstützen und eine Rolle bei der Kariesprophylaxe zu spielen [Hujoel et al., 2013; Hellwig et al., 2013; Hamberg et al., 1971]. SUPPLEMENTIERUNG Neben den positiven Effekten auf die Knochengesundheit werden einer Vitamin-D-Substitution zahlreiche extraossäre positive Effekte zugeschrieben, die allerdings bisher auch UNIV.-PROF. DR. MED. MATTHIAS MAX WEBER Leiter des Schwerpunkts Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen 1. Medizinische Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz, Gebäude 303 Langenbeckstr. 1, 55131 Mainz Foto: Peter Pulkowski ZAHNMEDIZIN | 81

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