zm112, Nr. 13, 1.7.2022, (1273) KOMMENTAR 1 Der Zahnarzt sollte seinem ärztlichen Gewissen folgen PROF. DR. INA NITSCHKE, MPH Universität Leipzig Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde Bereich Seniorenzahnmedizin Liebigstr. 12, 04103 Leipzig ina.nitschke@medizin.uni-leipzig.de Foto: privat DR. JULIA JOCKUSCH, M.SC. Universität Leipzig Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde Bereich Seniorenzahnmedizin Liebigstr. 12, 04103 Leipzig julia.jockusch@medizin.uni-leipzig.de Foto: privat Über die hier beschriebene Situation im ZMVZ wird immer wieder berichtet. Das Problem tritt in verschiedenen Facetten – von festgeschriebenen Umsatzzahlen bis zu einer Anzahl jährlich zu setzender Implantate – immer wieder auf. Besonders erschwert wird diese Situation, wenn der Leitende Zahnarzt nicht der Eigentümer ist, sondern Fachfremden wie den Investoren Rechenschaft ablegen muss. Hier sind drei Zahnärzte mit unterschiedlicher Stellung beteiligt. Der Behandler ist angestellter Zahnarzt, so dass man davon ausgehen muss, dass er mindestens seine Zeit als Ausbildungszahnarzt absolviert hat. Er hat somit schon die eine oder andere Erfahrung bei der zahnärztlichen Therapieplanung und Behandlung gemacht. Der zweite Part ist eine Zahnärztin, die keine Weiterbildung zur Fachzahnärztin für Kieferorthopädie abgeschlossen hat, sondern durch Fortbildungen und Praktika Kenntnisse in dem Fach erlangt hat. Der Dritte ist der fürs ZMVZ verantwortliche Zahnarzt. Er hat vermutlich sowohl Einfluss auf die Patientenpfade als auch die Entscheidungshoheit über Anstellungen und Konditionen der Mitarbeitenden. Es wird von einem guten und kollegialen Betriebsklima berichtet. Dem Benefizienzgebot folgend möchte der junge Zahnarzt, dass seine Patienten eine einwandfreie kieferorthopädische Therapie durch einen Facharzt für Kieferorthopädie erhalten, wenn diese benötigt wird. Er will, dass seinen Patienten kein Schaden (Non-Malefizienzgebot) durch eine Kollegin im ZMVZ zuteil wird, die keine fachzahnärztliche kieferorthopädische Qualifikation besitzt. Dies ist vollständig nachvollziehbar – und unterstützenswert unter der Voraussetzung, dass der junge Kollege ausreichend in der Lage ist, fachlich eine einfache von einer schwierigen kieferorthopädischen Fehlstellung zu unterscheiden. Zusätzlich ergibt sich für ihn noch ein Loyalitätskonflikt gegenüber dem ZMVZ. Erschwerend kommt hinzu, dass er sich durch das Beibehalten beziehungsweise die Missachtung der Anweisung selbst Schaden zufügen könnte, da ihm gegebenenfalls berufliche Konsequenzen drohen. Dieses ethische Dilemma könnte wie folgt angegangen werden: Da das Betriebsklima in der Praxis gut ist, sollte der junge Zahnarzt ein offenes Gespräch mit der Kollegin suchen und ihr von seiner Unsicherheit und seinen Bedenken erzählen. Dieses Gespräch sollte nicht zwischen Tür und Angel mitten im hektischen Praxisalltag stattfinden. Es sollten ein Ort und ein Zeitpunkt gewählt werden, wo beide in der Lage sind, sich ohne Unterbrechungen zu unterhalten. Aus Gründen der Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber sollte ein erstes Gespräch auf ihn und die kieferorthopädisch tätige Kollegin begrenzt sein. Weitere, dort tätige Zahnärzte sollten – um das Betriebsklima zu schützen – primär nicht involviert werden. Aus dem kollegialen Gespräch könnten sich diese Möglichkeiten ergeben: \ Die Kollegin hat eine andere Sichtweise auf die Dinge. Die Patientensituationen, die der junge Kollege mit seiner universitären kieferorthopädischen Ausbildung als schwierig einstuft, werden von ihr nicht so bewertet. \ Die Kollegin kennt klar ihre Grenze für kieferorthopädische Behandlungen und überweist die Patienten in der Konsequenz dann auch zu einer kieferorthopädischen Fachpraxis. \ Die Kollegin ist froh, dass der Kollege sie anspricht, weil sie den Druck auf ihre Therapieentscheidungen durch den Leiter so erlebt wie er auch. Ihr werden ebenfalls Handlungs- und Behandlungsweisen auferlegt, bei denen sie sich bei der Ausführung unwohl fühlt. Sie weiß, dass sie nicht die Kenntnisse und Erfahrungen hat, schwerwiegende Fälle zu bearbeiten. Vielleicht bringt das Gespräch diesen Umstand zutage. Abhängig vom Ausgang des Gesprächs sollten diese Handlungen folgen: Als Zeichen der Loyalität zum Betrieb und zur Kollegin sollten bei den beiden letztgenannten Gesprächsoptionen beide zusammen das Gespräch mit dem Leitenden Zahnarzt suchen und ihm das ethische Dilemma aufzeigen. PRAXIS | 31
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=