zm112, Nr. 13, 1.7.2022, (1280) Während es zwischen 1946 und 1956 erst 19 Arbeiten zu möglichen Zusammenhängen zwischen Parodontitis und Diabetes gab, waren es bis 1976 bereits 186 und bis 1996 dann 615 registrierte Arbeiten. Auch inhaltlich ergab sich eine Weiterentwicklung: So wurde vonseiten der Parodontologen das Vorliegen eines Diabetes zunehmend als Prädispositionsfaktor für eine Parodontitis bewertet [Pennel und Keagle, 1977]. Auch in der allgemeinen Beschreibung von Parodontalerkrankungen begann der Diabetes als systemischer Faktor an Bedeutung zu gewinnen [Ruben, 1979]. Erstaunlicherweise zeigt eine Arbeit aus dem Jahr 1985, dass sich die wissenschaftliche Betrachtung nicht ausschließlich auf Parodontitis und Diabetes beschränkte. Vielmehr wurde ein Zusammenhang zwischen Diabetes und der gesamten Mundhöhle beschrieben und dies als bedeutsames Forschungsfeld identifiziert [Murrah, 1985]. Mit der Jahrtausendwende kam es aufgrund methodischer Weiterentwicklungen, zunehmendem Forschungsinteresse und der Zunahme möglicher Publikationsorgane zu einer regelrechten Explosion der Arbeiten zum Zusammenhang zwischen Diabetes und Parodontitis. Noch Ende der 1990er-Jahre beschrieb die Arbeitsgruppe um Kinane ausführlich klinische, immunologische und molekularbiologische Aspekte, die der Thematik inhaltlich eine neue Tiefe verliehen [Kinane und Chestnutt, 1997; Kinane, 1999]. Ebenfalls unter Mitwirkung von Kinane wurde im Jahr 2008 im Rahmen des sechsten europäischen Workshops der Parodontologie erstmals die Evidenzlage zur Assoziation von Parodontitis und Diabetes beschrieben [Kinane et al., 2008]. Hier wurde zudem die Bidirektionalität beider Erkrankungen ausgewiesen, wobei eine erhöhte Parodontitisschwere bei schlecht eingestelltem Diabetes sowie eine verbesserte glykämische Kontrolle nach Parodontaltherapie beschrieben wurden [Kinane et al., 2008]. Inzwischen ist die Thematik vielfältig untersucht und ein bidirektionaler Zusammenhang gilt als gesichert. Entsprechend wurde in der aktuellen Klassifikation der Parodontalerkrankungen der Diabetes mellitus als modifizierender Faktor für das Grading (= Erkrankungsprogression) berücksichtigt [Jepsen et al., 2018]. Auch aufseiten der Diabetologen ist das Thema präsent; so gilt Parodontitis inzwischen als anerkannte Folgeerkrankung des Diabetes [Adda et al., 2021]. Insgesamt zeigt dieser kurze historische Abriss, dass Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus grundsätzlich seit vielen Jahrzehnten vermutet werden beziehungsweise bekannt sind. Es dauerte jedoch verhältnismäßig lange – und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen –, ehe sich aus den ersten Erkenntnissen Veränderungen für die Betreuung der Patienten in der zahnärztlichen Praxis ergaben. BIDIREKTIONALITÄT: IMMUNOLOGISCHE ASPEKTE Aufgrund der hohen Komplexität immunologischer und molekularbiologischer Prozesse sind die Grundlagen der Bidirektionalität von Parodontitis und Diabetes noch immer nicht vollständig erforscht und verstanden [Liccardo et al., 2019]. Insgesamt sind jedoch verschiedene pathophysiologische Mechanismen beschrieben, die die gegenseitige Beeinflussung von Parodontitis und Diabetes näher charakterisieren können (Abbildung 1). Eine mögliche Beeinflussung des subgingivalen Mikrobioms durch den Diabetes ist vorstellbar [Salvi et al., 2005; Engebretson et al., 2007], jedoch offenbar letztlich ohne kausale Relevanz für die Bidirektionalität beider Erkrankungen – kurzum: Es gibt kein einheitliches/ Abb. 1 Quelle: Gerhard Schmalz modifiziert nach [Preshaw et al., 2012] ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Immunologische Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Diabetes 38 | ZAHNMEDIZIN
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