zm112, Nr. 13, 1.7.2022, (1289) Inspiration dazu lieferte Christof Wandratsch, als der mehrfache Europameister im Langstreckenschwimmen und erste Eisschwimmweltmeister Jung bei einem Schwimmseminar vom Reiz der Kälte berichtete. 40 BAHNEN BEI 0 GRAD WASSERTEMPERATUR „Ich wäre früher nie auf die Idee gekommen, so etwas zu machen“, sagt Jung. „Denn wenn es etwas gibt, was Triathleten überhaupt nicht können, dann ist es, ohne Neoprenanzug im kalten Wasser zu schwimmen.“ Um das zu trainieren, müsse man das ganze Jahr draußen schwimmen, erklärt er, auch um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob es einem liegt. „Am Ende ist es eigentlich eine reine Kopfsache. Dann geht es nur um die Antwort auf die Frage: Will man es oder will man es nicht?“ – aus dem Mund eines 19-fachen Ironman und Extremschwimmers klingt das plötzlich plausibel. Ende der Geschichte: Jung wollte, hatte seinen Kopf im Griff und war auch hier erfolgreich. Am 18. Januar 2019 schwamm er in Volendam, Niederlande, bei fünf Grad Wassertemperatur als damals elfter Deutscher überhaupt eine Eismeile (1.610 Meter). Und im russischen Murmansk wurde er noch einmal zwei Monate später in seiner Altersklasse über 1.000 Meter mit einer Zeit von 18:03 Minuten Vizeweltmeister im Eisschwimmen. Die Bedingungen in jenem Jahr waren, fast 2.000 Kilometer nördlich von Moskau, besonders hart – null Grad Wassertemperatur und selbst tagsüber bis zu minus zehn Grad Lufttemperatur. Um die Wettbewerbe für die mehr als 400 Sportler aus 32 Nationen zu ermöglichen, hatten Helfer mit Kettensägen dicke Eisblöcke aus dem zugefrorenen Semenovskoe-See geschnitten, die dann mit Radladern herausgezogen wurden. So entstand ein 25 Meter langer Pool, berichtet Jung, dazu gab es ein kleines Stadion und Aufwärmzelte. Trotzdem: 40 Bahnen ohne Neoprenanzug im Eiswasser sind eine beispiellose Herausforderung für Körper und Geist. Jung beschreibt es so: Bei jedem Ironman komme man als Teilnehmer irgendwann im Verlauf des Wettkampfs an eine persönliche Grenze, die es mit purem Willen zu überwinden gilt. „Beim Eisschwimmen erreicht man diese Grenze sofort, nicht erst wenn man ins Wasser steigt“, sagt er, „sondern schon wenn man sich bei Frost und Schneefall bis auf die Badehose auszieht.“ „ICH NEHME NICHTS – AUßER ETWAS SCHOKOLADE“ So extrem die körperliche und geistige Überwindung ist, im Eiswasser zu schwimmen, so unbeschreiblich toll sei das natürliche Hochgefühl im Anschluss. „Man ist danach extrem geStraße von Gibraltar: Wassertemperatur 15 bis 18 °C, circa 15 km, Zeit: 4 h 13 min; auf dem Begleitboot meine Frau und zwei Observer Nach drei Jahren Vorbereitung ohne Trainer, ohne Trainingspläne oder Ähnliches: Ironman-WM auf Hawaii, Zeit: 12 h 7 min Eisschwimmen Hintertuxer Gletscher 2020: Wassertemperatur 0 °C, Lufttemperatur 0 °C, 3.500 m Meereshöhe GESELLSCHAFT | 47
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