zm112, Nr. 13, 1.7.2022, (1309) Eine allzu kritische Geschichtsschreibung war jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht im Sinne der Institution. Vor allem, wenn sie die sensible Zeit des Nationalsozialismus betreffen sollte. Erfahrungen, die der an der Freien Universität Berlin zum Thema „Zahnärzte 1933–1945: Berufsverbot – Emigration – Verfolgung“ (1994) promovierte Berliner Zahnarzt Michael Köhn im Kontext seines 2008 gehaltenen Vortrags zur Einweihung einer von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin installierten Gedenktafel, die an all jene Zahnmediziner und Zahnmedizinerinnen erinnern soll, die in der NS-Zeit aus rassischen und/oder politischen Gründen verfolgt, vertrieben und/ oder ermordet wurden, wie folgt schilderte [Krischel/Groß, 2020; Krischel, 2020]: „WIR SUCHEN HIER NICHT NACH HAKENKREUZEN“ „Für jeden dritten Berliner Zahnarzt bedeutete die am 02. Juni 1933 erlassene ‚ Verordnung über die Tätigkeit von Zahnärzten und Zahntechnikern bei den Krankenkassen‘ die drohende Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz. [...] Die Kassenzahnärztliche Vereinigung erstellte entsprechende Listen aller sogenannten nichtarischen und politisch unzuverlässigen Zahnärzte. Als wir am Anfang der 90erJahre nach diesen Listen [...] suchten, haben wir diese im Archiv der Forschungsstelle für Geschichte und Zeitgeschichte des Bundeszahnärztehauses in Köln vermutet und wollten dort recherchieren. Auf diesbezügliche Anfrage meiner Doktormutter, Frau Prof. Bleker, hieß es in einem Antwortschreiben von der Forschungsstelle aus Köln: ‚ Sie wissen vermutlich auch, dass selbst Schulklassen angestiftet werden, in Archiven nach Hakenkreuzen zu suchen, Kindern macht das Spaß.‘ Archiveinsicht wurde mir nicht gewährt. Erst als der damalige Präsident der Berliner Zahnärztekammer, Herr Dr. Löchte, im Bundeszahnärztehaus intervenierte, wurde ein Besuchstermin in Köln vereinbart. Als ich dann 1991 nach Köln fuhr, war angeblich der Schlüssel für die Archivräume nicht zu finden und ich fuhr unverrichteter Dinge wieder ab“ [Köhn, 2008, zitiert nach: Tascher, 2012, 98]. 1996 wurde die Forschungsstelle einer folgenreichen Umstrukturierung unterzogen. Mit dem Umzug der Bundeszahnärztekammer im Jahr 2000 von Köln nach Berlin konnte dort kein Platz mehr für Archiv, Sammlung und Bücherei gefunden werden. Die Konsequenz: Auflösung und teilweiser Verkauf der Deutschen Zahnärzte-Bücherei, die zu diesem Zeitpunkt rund 40.000 Fachbücher, Zeitschriftenbände und Dissertationen sowie wertvolle historische Schriften umfasste. Einige Bücher befinden sich bis heute im Haus der Bundeszahnärztekammer in der Chausseestraße in Berlin, Akten und einige Artefakte lagern bis jetzt im Keller der Bundeszahnärztekammer und werden zurzeit erschlossen. Abb. 4: Exponate aus der Ausstellung „Dental Things“ in Tübingen, a: Röntgenröhre, Urtyp, um 1900, b: die häufig als „Miswak“ bezeichneten Zweige des afrikanischen Zahnbürstenbaums a b Fotos: MUT / Valentin Marquardt JULIA NEBE, M.A. Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf julia.nebe@hhu.de Foto: pirvat GESELLSCHAFT | 67
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