zm112, Nr. 14, 16.7.2022, (1419) beim Diabetiker fallorientiert angepasst werden. Eine Übersicht hierzu liefert Abbildung 7. FAZIT Die zahnmedizinische Betreuung von Diabetespatienten enthält komplexe Implikationen. Während die Bidirektionalität zwischen Diabetes und Parodontitis vielfach beschrieben und ausführlich dargestellt ist, gehen die oralen Besonderheiten von Diabetespatienten deutlich darüber hinaus. Folgende Kernpunkte zu Mundgesundheit und Diabetes sollten berücksichtigt und für die Betreuung dieser Patienten in der zahnärztlichen Praxis bedacht werden: !Diabetespatienten haben immer ein erhöhtes (HbA1c-abhängiges) Risiko für orale Erkrankungen. Dies betrifft vorrangig Parodontalerkrankungen, aber auch Karies und Mundschleimhautveränderungen. Folglich ist bereits der mundgesunde Diabetiker ein Patient, der einer gesteigerten Aufmerksamkeit in der zahnärztlichen Praxis bedarf. Hierbei müssen auch gemeinsame Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Ernährung adressiert werden. !Die diabetologische Einstellgüte der Patienten ist essenziell für den Behandlungserfolg. Demnach ist eine effektive Betreuung der Diabetespatienten nur in einer Verzahnung mit dem medizinischen Team (Hausarzt, Diabetologen, Diabetesassistenten, Ernährungsberatern) möglich. Hier finden sich aktuell enorme Defizite; es sollte an der Etablierung von interdisziplinären Strukturen gearbeitet werden. !Diabetespatienten sind oftmals unzureichend über die Bedeutung der Mundgesundheit beziehungsweise ihr orales Erkrankungsrisiko aufgeklärt. Hierin liegt eine besondere Aufgabe des gesamten (zahnärztlichen/ärztlichen) Betreuungsteams. !Die Therapie oraler Erkrankungen, insbesondere der Parodontitis, kann sich positiv auf die glykämische Einstellgüte der Patienten auswirken. Dies ist ein großer Ansporn für die zielgerichtete Therapie und ein wirkungsvolles Argument für die Kommunikation mit den betreuenden Allgemeinmedizinern. !Diabetespatienten haben – je nach Einstellgüte – ein mögliches Komplikationsrisiko (Infektionsgefährdung) bei zahnärztlichen Eingriffen. Daher müssen eventuelle Maßnahmen wie beispielsweise die Notwendigkeit einer prätherapeutischen Antibiotikaprophylaxe stets individuell, in Abhängigkeit vom Mundgesundheitszustand und vom Bakteriämierisiko der zahnmedizinischen Intervention, abgewogen werden. !Basierend auf dem Risiko für orale Erkrankungen – das betrifft sowohl die Neuentstehung als auch die Progression – ist ein fallorientiertes Betreuungskonzept erforderlich. Auf dieser Grundlage müssen Inhalte und Rahmenbedingungen der Präventionssitzung, beispielsweise nach dem Prinzip der individualisierten Prävention, fallorientiert angepasst werden. !Auf Grundlage der bekannten Bidirektionalität zwischen Parodontitis und Diabetes spielt die Zahnarztpraxis eine bedeutende Rolle in der Diabetesfrüherkennung. Insbesondere bei Parodontitispatienten kann ein Fragebogenbasiertes Diabetes-Screening (FINDRISK) mit anschließender Zuweisung zum Hausarzt/Diabetologen zur frühzeitigen Diagnosestellung bisher unbekannter Diabetesfälle beitragen. !Die Möglichkeit der Diabetesfrüherkennung in der Praxis und die Bedeutung der Parodontaltherapie zur Verbesserung der glykämischen Einstellgüte für die Verringerung des Risikos für Diabetes-Folgeerkrankungen unterstreicht die zeitgemäße Rolle der Zahnmedizin als integralen Baustein der medizinischen Versorgung. Gleichzeitig belegt dies auch die Verantwortung, die das zahnmedizinische Team für die Gesunderhaltung der Patienten haben kann. Die zeitgemäße interdisziplinäre Versorgung von Diabetespatienten reiht sich ein in eine Reihe grundsätzlicher Entwicklungen der Zahnmedizin, die oft als Paradigmenwechsel beschrieben werden: Zunächst weitet sich der „Zuständigkeitsbereich“ der Zahnmedizin vom oralen Fokus hin zur interdisziplinären Mitbehandlung hochprävalenter Allgemeinerkrankungen aus. Damit verbunden ist eine auch innerhalb der Zahnmedizin zu beobachtende Verschiebung von der Kuration zur Prävention. Und schlussendlich zeigt das Beispiel der Behandlung von Diabetespatienten, wie bedeutsam inzwischen die patientenindividuelle Prävention und Therapie in einer evidenzbasierten und zeitgemäßen Versorgung geworden ist. ! Abb. 8: Paradigmenwechsel in der Zahnmedizin: Das Beispiel Mundgesundheit und Diabetes zeigt, welche zeitgemäße Rolle der Zahnarzt als Mediziner einnehmen kann. Quelle: Gerhard Schmalz ZAHNMEDIZIN | 73
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