Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm112, Nr. 15-16, 16.8.2022, (1468) sehen sich viele Praxen außerstande, ihr teils erheblich ausgeweitetes Leistungsangebot aufrechtzuerhalten“, so der Brief weiter. Die Arbeitskraft und die Ressourcen der Niedergelassenen seien endlich. Deshalb würden Auswirkungen im Sinne von Leistungskürzungen für Patienten unvermeidbar sein, warnen die Kassenärzte. „SCHEINHEILIG“ UND „KURZATMIG“ Auch von der Fachärzteschaft kommt heftige Kritik. Der Verband sei empört über die Scheinheiligkeit, mit der die Bundesregierung den Bürgern vorgaukeln will, es werde keine Leistungskürzungen im Gesundheitswesen geben, unterstrich Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbandes Fachärzte Deutschlands (SpiFa). „Fakt ist aber, dass mit diesem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und weiteren von der Bundesregierung vorgesehenen Einschränkungen in vielen Arztpraxen ein Aufnahmestopp für Neupatienten und längere Wartezeiten auf einen Facharzttermin unvermeidlich sind. Und das bedeutet Leistungskürzungen und damit eine klare Verschlechterung der Versorgung von Patienten in Deutschland.“ Die Krankenkassen gehen nicht davon aus, dass Lauterbachs Gesetzespläne langfristig wirksam sein werden. „Dieses Gesetz enthält keinerlei Maßnahmen für eine kurz- oder langfristige Stabilisierung der GKVFinanzen. Beiträge werden hochgeschraubt, Rücklagen eingezogen und Schulden gemacht“, betonte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Jens Martin Hoyer. Auch marginale Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf, wie etwa die einmalige Erhöhung des Herstellerabschlags im Arzneimittelbereich oder die Aussetzung der verschärften Regelungen zur Anhebung des Zusatzbeitrags für ein Jahr würden am grundsätzlichen Befund nichts ändern, erklärte er. Es handele sich um ein kurzatmiges Ein-JahresGesetz. Kein einziges strukturelles Problem werde damit gelöst, so seine Einschätzung. Denselben Vorwurf formulierte Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands. Darunter würden vor allem die Beitragszahlenden leiden, die die Hauptlast der erforderlichen Mehreinnahmen aufbringen sollen. Neben dem Zugriff auf die angesparten Reserven von rund vier Milliarden Euro würden die Versicherten ab 2023 höhere Zusatzbeiträge zahlen müssen – gerade angesichts der hohen Inflationsrate und der zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklung sei das ein falsches Signal. pr Das parlamentarische Verfahren zum Gesetzesentwurf wird nach der Sommerpause fortgeführt. ZI-AUSWERTUNG ZUR NEUPATIENTENREGELUNG Eine aktuelle Datenauswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) belegt die positiven Effekte der Neupatientenregelung auf die Versorgungsqualität seit der Einführung in 2019. Die Auswertung zeigt, dass im vierten Quartal 2021 mehr Neupatienten behandelt wurden als im vierten Quartal 2019, obwohl die ärztlichen Behandlungskapazitäten in diesen zwei Jahren eher weniger als mehr geworden sind. Außerdem erhielten Neupatienten gegenüber dem vierten Quartal 2019 mehr zusätzliche Leistungen als bereits bekannte Patienten. Genau diese Effekte seien beabsichtigt gewesen, als mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz TSVG im Jahr 2019 die allgemein geltenden Leistungsbegrenzungen für die ärztliche Behandlung von Neupatienten abgeschafft wurden, so das Zi. KLEINE HISTORIE BUDGETIERUNG IN DER KASSENZAHNÄRZTLICHEN VERSORGUNG Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) – unter Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer 1993 in Kraft getreten – wurde eine strikte Budgetierung der Vergütungen in nahezu allen zahnärztlichen Leistungsbereichen mit Ausnahme der Prävention (sektorale Budgetierung) mit jährlich festgelegten Zuwachsraten eingeführt. Hinzu kamen Preisabsenkungen unter anderem beim Zahnersatz und bei den zahntechnischen Leistungen, die Versicherten mussten beim Zahnersatz steigende Zuzahlungen leisten. Kieferorthopädische Behandlungen für Erwachsene und bestimmte ZahnersatzVersorgungsformen wurden aus dem GKVLeistungskatalog ausgeschlossen. In den Folgejahren und Folgegesetzen wurde in Bezug auf die Budgetierung an diversen Stellschrauben weitergedreht. Ein Meilenstein: Zum 1. Januar 2005 (geregelt im Gesetz zur Modernisierung der GKV von 2003) lösten befundorientierte Festzuschüsse das prozentuale Bezuschussungssystem beim Zahnersatz ab. Mit dem von der Zahnärzteschaft in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft entwickelten Konzept als Reaktion auf die andauernden Kostendämpfungsmaßnahmen des Gesetzgebers wurde ein neuer versorgungspolitischer Ansatz gewählt. Durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG, 2012) schließlich wurde das Vergütungssystem im Bereich der zahnärztlichen Behandlung ohne Zahnersatz weiterentwickelt. Danach wurde ab 2013 die „strikte Budgetierung“, also die Anbindung der zahnärztlichen Gesamtvergütung an die Grundlohnsumme, aufgehoben. Die zwischen den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen vereinbarten Gesamtvergütungen sollten sich seitdem stärker am krankheitsbedingten Behandlungsbedarf der Versicherten ausrichten. 18 | POLITIK

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