Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm112, Nr. 15-16, 16.8.2022, (1506) Bei der Verwendung von Allografts zur Nervenrekonstruktion sind mögliche Abstoßungsreaktionen zu berücksichtigen. Wie in anderen Gebieten der Transplantationsmedizin ist deshalb der Einsatz von immunmodulierenden Medikamenten wie zum Beispiel Tacrolimus, Methylprednisolon oder Cyclosporin A angezeigt. Neben der Abschwächung von Immunreaktionen ist die Einnahme dieser Substanzen mit einer verringerten Narbenbildung vergesellschaftet, wodurch die mechanische Beanspruchung der mikrochirurgischen Nervenanastomose durch Narbenzüge verringert werden kann [Bavetta et al., 1999; Yan et al., 2013]. Zum heutigen Zeitpunkt gibt es keine zugelassenen Medikamente, die eine effektive Beschleunigung der Nervenregeneration erzeugen können. STAMMZELLTHERAPIE Aufgrund der limitierten Geschwindigkeit der Nervenregeneration (1 bis 2 mm pro Tag) und den hieraus resultierenden Einschränkungen bei der neuromikrochirurgischen Nervenregeneration zielen Ansätze aus der Stammzelltherapie auf die Beschleunigung dieses Prozesses ab. Ausgehend von der wichtigen Rolle der Schwann-Zellen während des Regenerationsprozesses wurde die Fähigkeit von Stammzellen entdeckt, in Schwann-Zell-ähnliche Ausprägungen (engl. Schwann-cell-like Cells) zu differenzieren [Mosahebi et al., 2002]. Um ethischen Bedenken bei der Verwendung embryonaler Stammzellen und invasiven Entnahmemethoden bei der Entnahme von KnochenmarkStammzellen zu entgehen, wurden Tissue-Engineering-Verfahren entwickelt, mit denen multipotente adipöse mesenchymale Stammzellen in „Schwann-cell-like“-Zellen differenziert werden. Diese können die Nervenregeneration durch die Bildung neurotropher Faktoren beschleunigen. Obwohl eine entsprechende medizinische Anwendung aktuell noch nicht zum klinischen Alltag gehört, sind die Ergebnisse der Stammzellforschung vielversprechend [Tremp und Kalbermatten, 2019; Yi et al., 2020]. ZUSAMMENFASSUNG Nervenverletzungen treten häufig bei Verunfallten oder infolge von chirurgischen Eingriffen auf und können eine gravierende Symptomatik mit hohem Rehabilitationsaufwand verursachen. Druck- und Quetschlähmungen von Nerven gehen häufig mit dem Erhalt der Nervenhüllstrukturen einher und können daher überwiegend konservativ behandelt werden. Persistierende neurologische Defizite und ausgedehntere Nervenverletzungen mit einer Beschädigung des Epi- oder Perineuriums sollten einer mikrochirurgischen Rekonstruktion unterzogen werden. Abhängig vom Schädigungsmuster gehört hierzu nicht nur die alleinige Wiederherstellung anatomischer Verhältnisse durch eine direkte Naht, sondern auch der Einsatz von Interponaten oder Nerventransfers. Die Zeit von der Verletzung bis zur Intervention ist entscheidend für die Reinnervation und sollte vier bis sechs Monate nicht übersteigen. Die Verwendung autologer Transplantate ist stets der Verwendung von allo- oder xenogenen Materialien vorzuziehen. Die Verwendung von biotechnologischen und synthetischen Materialien als mechanische Conduits kann die chirurgische Therapie jedoch sinnvoll ergänzen. Die aktuellen Forschungsergebnisse bestätigen die neuroprotektive Wirkung von Vitamin B Komplex, so dass die Einnahme in der Akutphase nach der Verletzung erwogen werden kann. Bei der Verwendung von Allografts ist zudem die Einnahme von immunmodulierenden Medikamenten angezeigt. Die kontinuierlich wachsenden Erkenntnisse in der Stammzellforschung sind vielversprechend, weshalb Tissue-EngineeringMethoden in Zukunft zur Unterstützung und Beschleunigung der Nervenregeneration eingesetzt werden könnten. \ PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. RAINER SCHMELZEISEN Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – Plastische Operationen, Universitätsklinikum Freiburg Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg Foto: Universitätsklinik Freiburg 56 | ZAHNMEDIZIN

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