zm112, Nr. 17, 1.9.2022, (1636) OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE ZAHNEXTRAKTION OHNE INDIKATION KANN GEFÄHRLICHE KÖRPERVERLETZUNG SEIN Zieht ein Zahnarzt ohne jegliche medizinische Indikation bei Patienten vorsätzlich Zähne mit einer Zahnextraktionszange, droht eine Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. Da mit der Zange erhebliche Verletzungen ausgeübt werden können, ist das medizinische Instrument als „gefährliches Werkzeug“ einzustufen, so dass bei dessen rechtswidrigem Einsatz eine gefährliche Körperverletzung infrage kommt, urteilten die Richter. Im konkreten Fall hatte die Staatsanwaltschaft Pforzheim einem Zahnarzt vorgeworfen, zwischen dem 20. Juli 2020 und dem 6. Juni 2014 in 33 Fällen bei Patientinnen und Patienten ohne medizinische Indikation mehrere Zähne extrahiert zu haben. Das Zähneziehen wurde von dem Zahnmediziner als zwingend empfohlen. Über bestehende Behandlungsalternativen zum Zahnerhalt waren die Patienten nicht aufgeklärt worden. Laut Staatsanwaltschaft hatte der Zahnarzt darauf spekuliert, in Zukunft seine Patienten mit „einträglichem Zahnersatz“ versorgen zu können. Angeklagt war der Zahnarzt in 29 Fällen Das Landgericht Karlsruhe ließ die Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens in 29 Fällen wegen einfacher vorsätzlicher Körperverletzung zu. Die verbliebenen Fälle seien damit nach Ablauf von fünf Jahren verjährt. Die Staatsanwaltschaft ging dagegen von gefährlicher Körperverletzung aus, da der Zahnarzt die Patienten mit einem „gefährlichen Werkzeug“, der Extraktionszange, ohne ausreichenden Grund behandelt hatte. Bei gefährlicher Körperverletzung verjährt die Tat erst nach zehn Jahren. Das Gesetz sieht hierfür eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren, in minderschweren Fälle von drei Monaten bis fünf Jahren vor. Das OLG stimmte der Auffassung der Staatsanwaltschaft zu und entschied, dass die Anklage in allen Fällen zugelassen und auch hierzu das Hauptverfahren gegen den Zahnarzt eröffnet werden muss. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien medizinische Instrumente zwar nicht als „gefährliche Werkzeuge“ einzustufen. Sie würden danach nicht „gleich einer Waffe zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt“, so das Gericht. Kann der Gegenstand das Opfer verletzen? Doch nach einer Gesetzesänderung komme es nun darauf an, „ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im objektiven Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen“, so das OLG. Dies sei bei der Zahnextraktionszange der Fall. Werde das Instrument vorsätzlich ohne medizinische Indikation eingesetzt, führe der Eingriff zu einem Zahnverlust und einer offenen Wunde im Mundraum. Nach Abklingen der Narkose sei der Patient regelmäßig von nicht unerheblichen Schmerzen betroffen. Dies gelte insbesondere dann, wenn – wie hier – nacheinander mehrere Zähne entfernt werden. Frank Leth Oberlandesgericht Karlsruhe Az.: 1 Ws 47/22 Beschluss vom 16. März 2022 URTEIL Medizinische Instrumente wie eine Extraktionszange sind laut Bundesgerichtshof zwar nicht per se als „gefährliche Werkzeuge“ einzustufen, doch nach einer Gesetzesänderung ist entscheidend, „ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im objektiven Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen“. Foto: Andriy Bezuglov_adobe.stock.com 74 | PRAXIS
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