zm112, Nr. 17, 1.9.2022, (1657) delt mit einer Patientin an (Abb. 2). Bemerkenswert wirken in beiden Filmen vor allem die hyperrealistisch-modern anmutenden Praxen mit hydraulisch verstellbaren Zahnarztstühlen, Behandlungseinheit inklusive Doriotgestänge, Tray, Lampe, Speibecken und so weiter – ein Quantensprung gegenüber der Stummfilmzeit. Die Technisierung als säkularer Trend des Fachs war auch im Spielfilm angekommen. Erschreckend erscheint im Rückblick allerdings der Versuch der Ausstatter, mithilfe einer aufgeräumten und fast futuristischen Praxis am Set die Illusion von Normalität und Fortschrittlichkeit im kriegszerstörten Deutschland aufrechtzuerhalten. Insgesamt festigte sich im NS-Kino der Auftritt der Zahnarztfigur in der Komödie, ohne dass die berufliche Tätigkeit selbst ein komisches Element kreierte. In knapp der Hälfte der erhaltenen Filme spielte der Zahnarzt sogar die Hauptrolle. Dennoch blieben Behandlungsszenen kurz, ein Kennzeichen auch späterer Produktionen. Die zuvor dominante Extraktion wurde durch eine zahnerhaltende Therapie abgelöst, einmal sogar eine prothetische angedeutet. Entsprechend der NS-Filmpolitik sollten die Lustspiele von der Wirklichkeit ablenken und ein normales Leben, wozu eben auch Zahnarztbesuche gehörten, vorgaukeln. NACHKRIEGSZEIT (1946–1963) Schon in den Jahren unmittelbar nach Kriegsende entwickelten sich die beiden Teile Deutschlands auseinander. Es begann auch das Nebeneinander von zwei Filmwelten, mit einer an Hollywood orientierten Filmindustrie im Westen und der Deutschen Film AG (DEFA) im Osten. Obwohl viele Produktionen im Rückblick flach und affirmativ anmuten – „Amüsement ohne wirklichen Tiefgang“ –, waren es doch goldene Jahre. Spitzenwerte von fast 10.000 Lichtspieltheatern mit über einer Milliarde Besuchern deutschlandweit sprechen für sich; jeder Bürger ging im Schnitt mehr als zehn Mal pro Jahr ins Kino, wozu der Durchbruch des Farbfilms beitrug [Deutscher Film, 1945–1990]. Auch der Wiederaufbau der zahnmedizinischen Versorgung verlief getrennt [Groß, 2019]. Dem Bundesverband Deutscher Zahnärzte im Westen stand die Deutsche Gesellschaft für Stomatologie im Osten gegenüber. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs kam es zur Aufhebung des Dualismus und zur Integration der Dentisten in den Zahnärztestand. Technische Weiterentwicklungen betrafen wiederum vor allem das zahnärztliche Röntgen (OPTG), großen Aufschwung nahm auch die Funktionskieferorthopädie [Baltes, 2013]. EINE ZAHNARZTROLLE PRO FILMJAHR Die Frequenz von rund einer Zahnarztrolle pro Filmjahr aus der NS-Zeit findet sich unverändert auch im Nachkriegskino, mit deutlichem Übergewicht zugunsten des Westens (Tab. 3). Es begann die Zeit bekannter Filmzahnärzte wie Werner Finck und Heinz Rühmann, noch bekannterer Filmpatienten wie Romy Schneider und Hans-Joachim Fuchsberger und dramaturgisch zentraler ZahnarztSzenen, etwa in der Klamotte „Witwer mit fünf Töchtern“ (1957) oder dem Lustspiel „Die Zürcher Verlobung“ (ebenfalls 1957). Endlich traten in zwei Alltagskomödien berufliche aktive Filmzahnärztinnen auf – 50 Jahre nach Beginn des Frauenstudiums. VERFILMT WURDE AUCH DAS BUDDENBROOK-SYNDROM Der Zahnarztbesuch des Senators Thomas in den „Buddenbrooks“ ist vor allem Literaturliebhabern bekannt. Bereits 1923 wurde der Roman erstmals verfilmt, ohne allerdings dem berühmt-berüchtigten Zahnarzt Brecht einen Auftritt zu gönnen [Pommer, 1923]. Im Jahr 1959 folgte ein historisierendes SPIELFILME MIT ZAHNARZT-MOTIV (1946–1963) (DEFA=DEUTSCHE FILM AG; *ZAHNÄRZTIN) Nr. 3–1 3–2 3–3 3–4 3–5 3–6 3–7 3–8 3–9 3–10 3–11 3–12 3–13 3–14 3–15 3–16 3–17 Tab. 3, Quelle: Karenberg Titel Affaire Blum (DEFA) Die Frau von gestern Nacht* Peter als Zahnarzt (verschollen) Meine Nichte Susanne (verschollen) Liebe im Finanzamt* (verschollen) Heute heiratet mein Mann Besondere Kennzeichen: keine (DEFA) Alter Kahn und junge Liebe (DEFA) Die Zürcher Verlobung Witwer mit fünf Töchtern Der Maulkorb Die feuerrote Baronesse Ein Engel auf Erden Buddenbrooks Drei Kapitel Glück (DEFA) Die Türkischen Gurken (verschollen) Meine Tochter und ich Jahr 1948 1949 1950 1952 1952 1956 1956 1957 1957 1957 1958 1958 1959 1959 1961 1962 1963 Regisseur Erich Engel Arthur M. Rabenalt Hans Böhlke Wolfgang Liebeneiner Kurt Hoffmann Kurt Hoffmann Joachim Kunert Hans Heinrich Helmut Käutner Erich Engels Wolfgang Staudte Rudolf Jugert Géza v. Radványi u. a. Alfred Weidenmann Walter Beck Rolf Olsen Thomas Engel GESELLSCHAFT | 95
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