zm112, Nr. 18, 16.9.2022, (1739) Vasodilatation bedingen und somit aktiv zum Entzündungsgeschehen beitragen [Byers und Närhi, 1999]. Eine weitere wichtige Funktion der Pulpa ist die Ausbildung der Zahnwurzel. Dabei instruieren die Zellen der Hertwig’schen Epithelscheide (HES) die Zellen der apikalen Papille, die zu Odontoblasten differenzieren und Wurzeldentin und -pulpa bilden [Huang et al., 2008]. Erst etwa drei Jahre nach dem Durchbruch eines Zahnes in die Mundhöhle ist das Wurzelwachstum abgeschlossen, dann bilden sich die HES und die apikale Papille zurück. Kommt es innerhalb dieses Zeitfensters zur Pulpanekrose oder zur Schädigung der HES, so arretiert das Wurzelwachstum und es bleibt – je nach Zeitpunkt des Traumas – ein Zahn mit mehr oder weniger dünnen und frakturanfälligen Wurzelwänden zurück, was wesentliche Auswirkungen auf die Langzeitprognose hat. VITALERHALTENDE MAßNAHMEN Entsteht eine kariöse Läsion, so folgt frühzeitig eine Entzündungsreaktion in der Pulpa, die mit dem Fortschreiten der Karies an Intensität zunimmt. Bei einer tiefen Dentinkaries mit dünner verbleibender Restdentinstärke sollte die indirekte Überkappung erwogen werden, die einerseits durch die Applikation eines Überkappungsmaterials die Tertiärdentinbildung anregt, andererseits einen direkten Kontakt der in den Dentinadhäsiven enthaltenen toxischen Monomere, der durch Diffusion über die Dentintubuli stattfindet [Schweikl et al., 2017], in Pulpanähe verhindert. Wird die Pulpa im Rahmen der Exkavation im Gesunden eröffnet, kann die direkte Überkappung durchgeführt werden, wobei nach Prüfung des Pulpastatus ein Überkappungsmaterial direkt auf das exponierte Gewebe aufgetragen wird. Bei Eröffnung der Pulpa im Kariösen sollte als vitalerhaltende Maßnahme die partielle oder die vollständige Pulpotomie durchgeführt werden. Dabei ist nach dem Abtragen vom entzündeten Pulpagewebe auf die Blutstillung zu achten. Als Überkappungsmaterial kann Kalziumhydroxid zum Einsatz kommen, in direktem Kontakt mit der Pulpa bieten hydraulische Kalziumsilikatzemente jedoch höhere Erfolgsquoten [Cao et al., 2016]. Die Vitalerhaltung sollte stets angestrebt werden. Auch nach dentalem Trauma mit Eröffnung der Pulpa ist die Pulpotomie (partiell oder vollständig) eine valide Methode zur Vitalerhaltung, in diesem Fall ist aufgrund der fehlenden Vorschädigung durch einen kariösen Prozess mit einer hohen Erfolgssicherheit von über 95 Prozent nach drei Jahren auszugehen [Hecova et al., 2010]. Derzeit wird die Erweiterung der Indikationsstellung vitalerhaltender Maßnahmen auch auf Zähne mit Anzeichen einer irreversiblen Pulpitis erwogen, dazu sei auf die beiden zuletzt veröffentlichten Wissenschaftlichen Mitteilungen zu vitalerhaltenden Maßnahmen hingewiesen [Dammaschke et al., 2019; Krastl et al., 2021]. REGENERATION UND REPARATUR Während das „regenerative Potenzial“ der Pulpa gemeinhin als hoch eingeschätzt wird, zeigen histologische Untersuchungen, dass es nach vitalerhaltenden Maßnahmen nicht zu einer Restitutio ad integrum und somit nicht zu einer echten Regeneration, also zur Wiederherstellung der ursprünglichen Architektur und Funktion des Pulpagewebes kommt. Die Odontoblasten gehen durch die Gewebeschädigung verloren und werden meist durch flache, fibroblastenähnliche Zellen ersetzt. Das neu gebildete Hartgewebe weist entweder eine irreguläre tubuläre Struktur auf oder diese fehlt gänzlich – die Struktur erscheint amorph und es sind Zelleinschlüsse zu beobachten [Ricucci et al., 2017]. Somit kommt es nach der therapeutischen Intervention zur Ausheilung durch Reparatur, wobei das ursprüngliche Gewebe durch ein ektopisches ersetzt wird. Bei adäquater Durchführung vitalerhaltender Maßnahmen bleiben die entsprechend behandelten Zähne jedoch in der Regel symptom- und entzündungsfrei. REVITALISIERUNG Kommt es aufgrund ausgedehnter kariöser Läsionen oder nach Trauma zur Pulpanekrose des betroffenen Zahnes, so wird die Wurzelkanalbehandlung eingeleitet. Während die Erfolgsquoten wurzelkanalbehandelter Zähne bei der Primärbehandlung über 90 Prozent betragen [Burns et al., 2022], ist im eingangs erläuterten Sonderfall eines Zahnes mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum die Situation ungünstiger. Aufgrund der dünnen Dentinwände, dem weit offenen FoPROF. DR. MED. DENT. KERSTIN GALLER, PH.D. Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie, Universitätsklinikum Erlangen, Glückstr. 11, 91054 Erlangen kerstin.galler@uk-erlangen.de 1994–2000: Studium der Zahnheilkunde an der LMU München 2002: Promotion zur Dr. med. dent. 2002–2004: Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Universitätsklinikum Regensburg 2004–2006: Post-Doc am Texas Health Science Center at Houston, USA 2006–2009: Ph.D. in Biomedical Engineering an der Rice University, Houston, USA 2009: Rückkehr an die Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie in Regensburg 2011: Habilitation, Oberärztin 2015: Berufung zur Professorin für Endodontologie an der Universität Regensburg 2016–2021: Stellvertretende Klinikleitung in Regensburg seit 2021: Direktorin der Klinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am Universitätsklinikum Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Foto: UKR ZAHNMEDIZIN | 49
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