Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm112, Nr. 18, 16.9.2022, (1741) induziert werden könnte, was man daraus ableitete, dass in den anfangs veröffentlichten Fallberichten ein Abschluss des Wurzelwachstums beobachtet wurde. Dies wurde durch molekularbiologische Untersuchungen gestützt, in denen Oberflächenmarker mesenchymaler Stammzellen im intrakanalären Blut im Vergleich zu Blut aus der Armvene um ein Vielfaches erhöht waren [Lovelace et al., 2011]. Tierexperimentelle Studien und publizierte Fallberichte, in denen Zähne infolge von Misserfolg nach Revitalisierung extrahiert und histologisch untersucht werden konnten, zeigten jedoch, dass das neu gebildete Gewebe ektopischer Natur ist [da Silva et al., 2010; Wang et al., 2010] – was zunächst zu Ernüchterung über die Möglichkeiten dieser neuen Behandlungsmethode führte. Bald jedoch wurde die Erwartungshaltung adjustiert, wie im Folgenden ausgeführt wird. INDIKATIONSSTELLUNG UND KLINISCHES VORGEHEN Die folgenden Empfehlungen sind weitgehend und sofern nicht anderweitig gekennzeichnet der Stellungnahme der ESE entnommen [ESE, 2016]. Die Indikation zur Revitalisierung kann bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum und Pulpanekrose gestellt werden. Diese Konstellation tritt insgesamt selten ein, wird meist infolge eines dentalen Traumas beobachtet und betrifft somit überwiegend die Frontzähne des Oberkiefers. Eine bereits bestehende periapikale Läsion oder Fistelung stellt kein Ausschlusskriterium dar. Somit weisen der apikale Verschluss und die Revitalisierung dieselbe Indikationsstellung auf. Patienten können umso mehr von der Revitalisierung profitieren, je weniger weit fortgeschritten das Wurzelwachstum ist. Bei guter Compliance der Patienten sollte der Revitalisierung bei den Stadien I – III der Wurzelentwicklung nach Cvek (Abbildung 2) der Vorzug gegeben werden, beim Stadium IV sind Revitalisierung und apikaler Verschluss als gleichwertig anzusehen [Kim et al., 2018]. Das klinische Vorgehen zur Revitalisierung nach dem Protokoll der ESE beinhaltet nach umfassender Diagnostik in der ersten Sitzung die Eröffnung des Zahnes unter Kofferdam, gefolgt von sorgfältiger Desinfektion durch Spülung mit Natriumhypochlorit (NaOCl) in niedriger Konzentration von ein bis drei Prozent. Eine mechanische Bearbeitung der Kanalwand sollte möglichst vermieden werden, um eine Schwächung dünner Wurzelwände zu vermeiden. Für die medikamentöse Einlage sollte ein nichtzahnverfärbendes KalziumhydroxidPräparat verwendet werden. In der zweiten Sitzung sollten der Zahn beschwerde- und symptomfrei und ein eventuell bestehender Fistelgang geschlossen sein, andernfalls wird die antibakterielle Therapie mittels Natriumhypochlorit und medikamentöser Einlage fortgeführt. Nach Anästhesie, optimalerweise ohne Vasokonstriktor, wird der Zahn unter Kofferdam wieder eröffnet und mit 17-prozentiger EDTA-Lösung gespült, wobei überschüssige Flüssigkeit nachfolgend mittels Papierspitzen entfernt wird. Anschließend wird durch Überinstrumentieren mit einer Handfeile, die in einer rotierenden oder pickenden Bewegung eingesetzt werden kann, eine Einblutung in den Kanal erzeugt (Abbildung 3). Das Blutkoagulum kann mit einem Kollagenpräparat abgedeckt werden, das als Widerlager dient, um in der Folge das Einbringen eines hydraulischen Kalziumsilikatzements zu erleichtern. Der Zahn sollte abschließend adhäsiv und bakteriendicht verschlossen werden (Abbildung 4). Röntgenaufnahmen sollten prä- sowie postoperativ angefertigt werden, in der Nachuntersuchung nach drei, sechs, zwölf, 18 und 24 Monaten. Die erfolgreiche Behandlung ist erkennbar am Abklingen beziehungsweise Ausbleiben von Beschwerden und Entzündungszeichen, periapikale Läsionen sollten ausheilen. Wünschenswert ist eine positive Reaktion auf die Sensibilitätsprobe, die nach Revitalisierung in etwa 55 Prozent der Fälle festzustellen ist [Diogenes et al., 2013]. Eine Zunahme der Wurzellänge und -dicke ist in etwa zwei Dritteln der Fälle zu beobachten, jedoch nicht vorhersagbar [Torabinejad et al., 2017]. Ein Ausbleiben der weiteren Mineralisation ist dabei nicht als Misserfolg zu werten. Die Entscheidung, ob mittels apikalem Verschluss oder Revitalisierung vorgegangen werden soll, ist individuell zu treffen, wobei die Compliance des Patienten, das Stadium der Wurzelentwicklung und die Erfahrung des Behandlers zu berücksichtigen sind. Während die Revitalisierung technisch einfacher durchführbar ist als der apikale Verschluss, so ist das Erzeugen der Einblutung trotz Anästhesie gelegentlich schmerzhaft. Daher sollte in der ersten Sitzung die Kooperationsfähigkeit des jungen Patienten abgeschätzt werden. Ein Vorteil der Revitalisierung liegt darin, dass aufgrund der geringen Manipulation der Gewebe bei Misserfolg eine Wiederholung der Behandlung ebenso möglich ist wie der anschließende apikale Verschluss [Chaniotis, 2017]. ERGEBNISSE NACH REVITALISIERUNG Die Ergebnisse der ersten Fallberichte zur Revitalisierung mündeten in der Erwartung, mit diesem Verfahren eine echte Pulparegeneration zu erzeugen. Bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum sind Abb. 3: Bei der Revitalisierung wird durch kontrolliertes Überinstrumentieren eine Einblutung in den Wurzelkanal induziert. Das entstehende Blutkoagel kann mit einer Kollagenmatrix abgedeckt werden, die als Widerlager für den anschließend einzubringenden hydraulischen Kalziumsilikatzement dient. Der Zahn wird abschließend adhäsiv bakteriendicht verschlossen. Quelle: Matthias Widbiller ZAHNMEDIZIN | 51

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