zm112, Nr. 18, 16.9.2022, (1774) gewöhnt waren, dass er oder sie immer als Ansprechpartner:in zur Verfügung stand, erleben sie das Hinzukommen einer zweiten Praxis oft unbewusst als Verlust von Zuwendung, Anerkennung und Wertschätzung. Dabei handelt es sich nicht um ein kognitives Problem, sondern um das emotionale Empfinden, vergleichbar mit dem eines älteren Kindes, das ein kleines Geschwisterchen bekommt. Plötzlich müssen die Aufmerksamkeit und die Ressourcen geteilt werden. Je nach Struktur der Praxis – also je nach der Intensität der aufgebauten Delegationsstrukturen – wird das Fehlen des Chefs oder der Chefin stärker oder weniger stark bemerkt. Je stärker er oder sie bisher selber geführt hat, desto herausfordernder kann die Situation nun werden. Praxen, in denen die Leitung nahezu die gesamte Führung an qualifizierte PraxismanagerInnen (oder auch an angestellte ZahnärtztInnen) übergeben hat, sind von diesem Phänomen (viel) weniger betroffen. Je stärker das Fehlen empfunden wird, desto öfter entstehen Situationen, in denen die Frage auftritt, welches Teilsystem der Chefin oder dem Chef wichtiger ist. Das kann zur Folge haben, dass immer dann, wenn der Chef oder die Chefin gerade in der anderen Praxis ist, großer Klärungsbedarf entsteht, der dann zu Blockaden oder auch zu Anrufen in der anderen Praxis führt – mit der Bitte, den Chef oder die Chefin mal eben zu fragen „Wie soll das gelöst werden?“. Das führt dort zu einem erhöhten Arbeitsaufkommen und kann Unmut mit sich bringen. Solche Probleme treten verstärkt auf, wenn die Zeiten, in denen die Zahnärztin / der Zahnarzt in den verschiedenen Praxen ist, nicht zuverlässig festgelegt sind. Unbewusst versuchen dann beide Teams dafür zu sorgen, dass der/die ChefIn möglichst viel am jeweils eigenen Standort ist. Sehr klare, feste zeitliche Regeln können dem entgegenwirken. Plant man den Aufbau eines zusätzlichen Standorts, sollte man wissen, dass neu hinzukommende Systeme eine doppelte systemische Aufgabe haben. Auf der einen Seite müssen die Beschäftigten sich in den durch die Fusion entstandenen größeren Gesamtrahmen einfügen. Dafür brauchen alle klare Vorgaben und einen Rahmen: \ Was wird in allen Praxen gleich sein und gemeinsam getan und verwaltet? \ Wo hat jede einzelne Praxis organisatorische Freiheiten? \ Welche Veranstaltungen werden gemeinsam und welche getrennt durchgeführt (Praxisausflüge, Feiern, Teambesprechungen)? \ Gibt es jetzt eine gemeinsame Corporate Identity, Praxiskleidung (mit eventuell anderen Farben), einen gemeinsamen Internetauftritt? Auf der anderen Seite hat jede Praxis – wenn sie als eigener Standort bestehen bleibt – die Aufgabe, ihre eigene Identität zu schützen und ihr eigenes Wir-Gefühl aufrechtzuerhalten. Das führt dazu, dass es zum Beispiel beim Austausch von Mitarbeitenden, etwa aus Krankheitsgründen, häufiger zu einem Gefühl von Ungerechtigkeit kommt. Das bereitet den Boden für Reibereien. Falls standortbezogen geführt wird und dennoch Mitarbeitende systemübergreifend bei Engpässen aushelfen, ist es hilfreich, derartige Einsätze gesondert wertzuschätzen. FAZIT Beim Aufbau eines Systems mit mehreren Standorten kann es hilfreich sein, die Führungsaufgaben möglichst frühzeitig und umfassend an PraxismanagerInnen zu delegieren. So kann man die systemischen Störungen und den eigenen Führungsaufwand minimieren. Auf diese Weise müssen nur ein bis zwei Personen geführt werden, die leitenden ZahnärztInnen werden entlastet und das Team erwarten von den BehandlerInnen auf Dauer hauptsächlich die Erbringung hochwertiger Behandlungsleistungen. \ Teil 1 zur Schnittstellenkommunikation „Reibungslos durch den Tag“ finden Sie in der zm 13/2022 auf S. 70–71, Teil 2 „Wer ist hier eigentlich die Chefin?“ in der zm 15-16/2022 auf S. 26–28. Abb. 2: Praxen mit Zweigpraxen, die durch die jeweiligen PraxisinhaberInnen – mit oder ohne Standortverantwortlichen – direkt geführt werden. Quelle: Handrock MAIKE BAUMANN Diplompsychologin, Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin info@tonart-coaching.de Foto: Janien Ebert 84 | PRAXIS
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