zm112, Nr. 19, 1.10.2022, (1815) INTERVIEW MIT DEN ZAHNÄRZTEN JASMIN UND MANFRED WOLF „MÜLL LÄSST SICH LEIDER NICHT KOMPLETT VERMEIDEN“ 2021 wurde die Praxis von Dr. Dr. Manfred Wolf als eine von 22 Praxen mit dem Label „Grüne Praxis“ für ihre Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Im Gespräch erklären die Zahnärzte Wolf, wie der lange Weg dahin aussah. Herr Wolf, gab es einen externen Impuls oder ein persönliches Erlebnis, die Praxis nachhaltiger auszurichten? Falls ja, was und wann war das? Vor 30 Jahren hatten wir den Wunsch, die Praxis zu erweitern. Nach längerer Überlegung und Recherche war die Erweiterung aus baurechtlichen Gründen nur durch einen Anbau in Form eines Wintergartens möglich. Dieser Wintergarten war dann eigentlich der Beginn, ein langfristiges Energie- und Nachhaltigkeitskonzept zu entwickeln. Denn der Bau des Wintergartens senkte unsere Wärmeenergiekosten um etwa 50 Prozent, zum einen durch eine effiziente Nutzung der Solarenergie im Winter und zum anderen durch eine effiziente Isolierung mit Horizontaljalousien im Sommer. Das hat damals unser Interesse für diverse Energiekonzepte geweckt, von denen wir einige Maßnahmen nach und nach umgesetzt haben. Wie sind Sie konkret vorgegangen? Wo haben Sie sich über Probleme/ Lösungsansätze informiert? In Zeitschriften, Fachliteratur, auf Messen, Online aber auch bei Besichtigungen vor Ort, etwa in anderen Praxen. Was konnten Sie sich abgucken, für welche Maßnahmen haben Sie sich entschieden – und warum? Wir haben seit 2005 eine Fotovoltaikanlage und nutzen seit 2019 zwei Elektroautos für Hausbesuche, Praxiseinkäufe, Laborauslieferungen und ähnliches. Außerdem haben wir die Öl-Zentralheizung auf eine Pellet-/ Scheitholzheizung umgestellt. Die Motivation dabei waren Ökologie und Autarkie. Wir haben einen nahe gelegenen, eigenen Forst und verfügen darum über kurze Lieferwege für das Scheitholz. 2010 haben wir begonnen, die Praxis so weit wie möglich zu digitalisieren. Daraus ergeben sich Vereinfachungen der Prozesse, eine schnellere und effizientere Verfügbarkeit von Daten, eine einfachere Kommunikation mit Kollegen und Überweisern, eine schnellere Verfügbarkeit von Röntgenbildern sowie eine Reduzierung von Material und Materialkosten. Und es ermöglicht unseren Mitarbeitenden, etwa Teilzeitkräften mit Kindern, auch im Homeoffice zu arbeiten, zum Beispiel für die Abrechnung. Außerdem nutzen wir soweit wie möglich lokale Anbieter, also Apotheke, Schreibwarenhändler, Drogeriemarkt, Dentaldepot und Edelmetallhändler. Uns geht es dabei um die Unterstützung der lokalen Infrastrukturen, die Reduktion emissionsbehafteter Logistikwege, aber auch den Austausch im persönlichen Kontakt. Außerdem ist es immer gut, direkte Ansprechpartner zu haben. Letzter Punkt ist, dass wir unser Warenmanagement umgestellt haben, jetzt also mehr Großbestellungen von ständig verwendeten Verbrauchsmaterialien wie Speichelsaugern, Mundschutzen, Handschuhen und ähnlichem vornehmen. Das reduziert Verpackungsmüll, spart Versandkosten und -wege und senkt den Personalaufwand bei der Warenannahme und -lagerung. Und nachhaltige Produkte wie Gläser statt Plastikbecher, Handtücher statt Papierservietten oder wiederverwendbare OP-Kleidung statt Einmalkittel haben sich schon beim Praxisstart vor mehr als 30 Jahren für uns bewährt. Deren Einsatz haben wir einfach beibehalten. Welche Schwierigkeiten, also Überraschungen oder Rückschläge, gab es bei den Maßnahmen? Beim Thema Digitalisierung fehlte es anfangs an der Akzeptanz einiger Mitarbeitender. Bei baulichen Maßnahmen waren hingegen bürokratische Hürden zu nehmen, hier meine ich Genehmigungs- oder Prüfverfahren. Natürlich gab es auch hohe Investitionskosten. Das gilt immer dann, wenn sehr neue Technologien zum Einsatz kommen. Ein weiterer Wermutstropfen ist, dass Müllvermeidung nicht komplett möglich ist. Wie waren denn die Rückmeldungen der Kollegen, des Teams und, nicht zuletzt, der Patienten? Bisher hatten wir nur gute Rückmeldungen, das heißt, es gibt viele interessierte Kollegen. Einige haben sich von uns sogar Empfehlungen oder Anregungen geholt. Vom Team wurden einige Umstellungen anfänglich von einigen langjährigen Mitarbeitenden schwierig angenommen und zunächst als störend empfunden. Von Patientenseite spüren wir fast ausschließlich großes Wohlwollen und Interesse an den eingesetzten neuen Technologien. Welchen Kosten und Einsparungen haben die Maßnahmen ausgelöst? Maßnahmen wie der Wintergarten, der brauchwasserthermische Pufferspeicher und die Fotovoltaikanlage, zwei ortständige Scheitholzöfen – haben sich in der Zwischenzeit mehr als refinanziert. Die Pellet- und Scheitholzheizung soll sich in den kommenden 15 Jahren amortisieren. Das hängt natürlich von den schwankenden Rohstoffpreisen ab. Planen Sie weitere Maßnahmen? Nach Ablauf der 20-jährigen Einspeiseverpflichtung der Fotovoltaikanlage 2025 ist eine Umstellung auf Batteriespeicher geplant, um das Elektroauto sowie die weiteren hauseigenen Stromverbraucher zu versorgen. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in puncto nachhaltiger Zahnmedizin für die Zukunft? Die Reduktion der Abfallmenge bei Einhaltung beziehungsweise Steigerung der bestehenden und kommenden Vorschriften zu Hygiene, Verarbeitung, Dokumentation und Aufbewahrung. Das Gespräch führte Marius Gießmann. Foto: privat Foto: privat PRAXIS | 17
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