zm112, Nr. 20, 16.10.2022, (1938) an Dritte erfolgen darf [Ärztekammer Hamburg, 2010]. Die ärztliche Schweigepflicht beinhaltet sowohl die Identität des Opfers als auch die Information, dass eine Behandlung stattgefunden hat [Ärztekammer Nordrhein, 2014]. Grundsätzlich ist eine umfassende Einhaltung der Schweigepflicht geboten, die nur in besonderen Einzelfällen gebrochen werden darf. Das Opfer kann beispielsweise eine ausdrückliche Entbindung von der Schweigepflicht unterschreiben; es ist auch möglich, die Schweigepflicht nur für bestimmte Geschehnisse aufzuheben [Ärztekammer Hamburg, 2010]. Bei Kindern unter 14 Jahren muss dies durch einen Erziehungsberechtigten erfolgen. Vor Gericht besteht die Pflicht, die Aussage zu verweigern, wenn keine Schweigepflichtentbindung oder keine Notfallsituation vorliegt [Ärztekammer Nordrhein, 2014]. In Deutschland besteht keine Meldepflicht für vergangene Missbrauchstaten, auch bei schwerwiegenden Verletzungen mit schweren Waffen oder beim Missbrauch Minderjähriger. Bei Androhung einer solchen schwerwiegenden Straftat ist allerdings das zahnmedizinische Fachpersonal, ebenso wie alle anderen Bürger, nach § 138 StGB verpflichtet, eine Meldung bei der Polizei oder einer Behörde zu leisten. § 34 des StGB regelt den rechtfertigenden Notstand, der bei einer „nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut“ greift. Auch in diesem Fall sind das Brechen der ärztlichen Schweigepflicht und eine Meldung bei der Polizei zulässig. Allerdings wird dies juristisch äußerst kritisch gesehen, da (in den meisten Fällen) während des Besuchs in der zahnmedizinischen Praxis die akute (körperliche) Gefahr für das Opfer – wenn auch nur vorübergehend – vorbei ist. Umso wichtiger ist es, mit dem Opfer zu besprechen, dass bei einem ähnlichen Wiederholungsfall mit möglichen schlimmeren Verletzungen die Schweigepflicht entfallen kann. Bei Kindern ist die Schwelle der Durchbrechung der Schweigepflicht niedriger als bei Erwachsenen. Bei Verdachtsfällen, in denen Kinder Opfer von Gewalt sind, sollte das Jugendamt als zuständige Behörde eingeschaltet werden [Ärztekammer Hamburg, 2010]. Ein irrtümlicher Verdacht von häuslicher Gewalt ist dabei grundsätzlich nicht strafbar; ein irrtümliches Brechen der Schweigepflicht ist straflos, wenn der Irrtum unvermeidbar war [Ärztekammer Nordrhein, 2014]. EMPFEHLUNGEN FÜR DIE TÄGLICHE PRAXIS Da unsere Literaturanalyse bei zahnmedizinischem Fachpersonal insgesamt einen Mangel in der Erkennung, im Umgang und im weiteren Prozedere bei Fällen von häuslicher Gewalt ergeben hat, haben wir Empfehlungen für die tägliche Praxis erarbeitet, die an die Empfehlungen der IMPRODOVA-Trainingsplattform angelehnt sind [Improdova, 2022]. IMPRODOVA ist ein von der EU gefördertes Projekt, das sich in Zusammenarbeit mit 16 Partnern aus acht Ländern Europas für eine Verbesserung der Intervention bei schwerer häuslicher Gewalt einsetzt. IMPRODOVA hat es sich zur Aufgabe gemacht, die international bekannten Forschungsergebnisse, Interventionsprogramme und deren Umsetzbarkeit zu analysieren und aufzubereiten. So sollen ein Überblick und eine verbesserte, erneuerte Präsentation bekannter Methoden geschaffen werden. Weiterhin soll die Zusammenarbeit zwischen Behörden, medizinischem und sozialem Fachpersonal und weiteren Ersthelfern gefördert werden, um insgesamt mehr Aufklärung für Opfer häuslicher Gewalt erlangen zu können [Improdova, 2022]. Man unterscheidet verschiedene Phasen der Unterstützung. Grundsätzlich gilt jedoch, Patientinnen und Patienten regelmäßig zu befragen, sollten Sie Verdacht schöpfen. Der erste Schritt besteht darin, dass das potenzielle Opfer sich traut, über die erlebte Gewalt zu sprechen. Dabei sollten Sie Folgendes beachten: \ Achten Sie darauf, dass die Patienten und Patientinnen mit Ihnen allein sind und frei sprechen können. Viele kommen in Begleitung der Kinder oder gar der Partner zu Ihnen in die Praxis. \ Allgemeine Fragen können Ihnen helfen, das Thema anzusprechen: „Wie läuft es zu Hause?“, „Wie kommen Sie mit Ihrem Partner / Ihrer Partnerin zurecht?“. Direkte Fragen können im Gesprächsverlauf dazu führen, dass das mutmaßliche PD DR. MED. DENT. HABIL. MARCEL HANISCH Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Münster Waldeyerstr. 30, 48149 Münster und artedent München Karl-Theodor-Str. 69, 80803 München Marcel.Hanisch@ukmuenster.de Foto: privat PROF. DR. MED. DR. RER. NAT. BETTINA PFLEIDERER Klinik für Radiologie, Universität Münster Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude A1, 48129 Münster Foto: @Ulrike Damann JANA BREGULLA Poliklinik für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien, Universitätsklinikum Münster Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude W 30, 48149 Münster Foto: UK Münster 28 | PRAXIS
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