zm112, Nr. 21, 1.11.2022, (2054) MKG-CHIRURGIE Nekrotisierende Fasziitis nach Zahnextraktion Alexander-Simon Engel, Sven Holger Baum, Thomas Bergmann, Libor Hart Es beginnt mit einer komplikationsfreien Zahnextraktion und führt zu einem dreimonatigen stationären Aufenthalt mit mehr als 20 Operationen und schlussendlich zu irreparablen lebenslangen Schädigungen. Dabei hatte der Patient noch Glück: Er hat überlebt. Alle in Abstrichen nachgewiesenen Bakterien gehören zur normalen Mundflora – warum hat sich hier eine lebensbedrohliche nekrotisierende Fasziitis entwickelt? Ein 39-jähriger Mann stellte sich notfallmäßig mit Schwellungssymptomatik, Luftnot und Schluckbeschwerden in unserer mund-, kiefer- und gesichtschirurgischen Hochschulambulanz vor. Ein niedergelassener Kollege hatte zwei Tage zuvor den Zahn 36 komplikationsfrei extrahiert. Die allgemeine Anamnese ergab keine akuten oder chronischen Erkrankungen, Medikamente wurden nicht eingenommen. Nikotin- und regelmäßiger Alkoholkonsum verneint. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine teigige, schwer abgrenzbare Schwellung submental und submandibulär beidseits, die bis zur Clavicula reichte (Abbildung 1). Weiterhin war ein deutliches Luftemphysem tastbar. Die Mundöffnung war eingeschränkt, die Uvula im Sinne des Kulissenphänomens nach rechts verlagert und der Mundboden schwellungsbedingt angehoben. In der OPG-Aufnahme zeigte sich ein Zustand nach Entfernung des Zahnes 36 mit einliegender Tamponade (Abbildung 2). Aufgrund des ausgedehnten Befunds mit reduziertem Allgemeinzustand wurde zusätzlich eine Computertomografie durchgeführt. Dabei war neben der ausgedehnten Flüssigkeitsansammlung beidseits im Bereich des Mundbodens eine ausgedehnte phlegmonöse Entzündungsreaktion parapharyngeal und paralaryngeal entlang der Gefäß-Nervenstraße bis ins obere Mediastinum sichtbar (Abbildung 3). Zusätzlich waren beidseits erhebliche Lufteinschlüsse vom Mundboden über die Halsweichteile bis ins Mediastinum erkennbar. Im Laborbefund zeigten sich deutlich erhöhte Entzündungswerte mit einem CRP von 56,2 mg/dl und Procalcitonin von 7,6 ng/ml. Im Anschluss an die radiologische Diagnostik wurde bei Verdacht auf eine ausgedehnte Abszedierung mit Anaerobier-Beteiligung die notfallmäßige Revision von extra- und intraoral durchgeführt mit Sicherung der Atemwege über ein Tracheostoma. Dazu erfolgten zunächst Inzisionen submandibulär, submental sowie supraclaviculär beidseits. Im Rahmen der Austastung der Abszesshöhlen wurden beidseits die perimandibuläre, die massetericomandibuläre die submentale, die parapharyngeale und linksseitig die pterygomandibuläre Loge sowie der gesamte Halsbereich mit Eröffnung der Hals-Gefäß-Scheide revidiert. Interessanterweise entleerte sich aber kein Pus, sondern grau gefärbte, übel Foto: MKG KEM, Evang. Kliniken Essen-Mitte Abb. 1: Klinische Ausgangssituation 32 | ZAHNMEDIZIN
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