Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2175) dern steht primär ein zahnmedizinisch konservatives Behandlungskonzept im Vordergrund. Im Folgenden wird ein Überblick über die am häufigsten vorkommenden klinisch relevanten Gesichtsschmerzsyndrome der Gruppen vier bis sechs gegeben. Die vierte Gruppe der ICOP wird dabei zum Einstieg anhand eines Fallbeispiels neuropathischer Gesichtsschmerzen näher beschrieben. GESICHTSSCHMERZEN DER KLASSE 4 Die Klasse 4 der ICOP bezieht sich auf Gesichtsschmerzen, die aufgrund von Läsionen oder Erkrankungen von Hirnnerven wie dem Nervus trigeminus oder seltener auch dem Nervus glossopharyngeus zurückzuführen sind. Hier soll auf die Nervus-trigeminus-assoziierten Gesichtsschmerzen mit deren für die zahnärztliche Praxis wesentlichen Krankheitsbildern der Trigeminusneuralgie und des neuropathischen Gesichtsschmerzes mit der dazu zählenden PTTN eingegangen werden. DIE TRIGEMINUSNEURALGIE Die Trigeminusneuralgie (TN) ist mit einer geschätzten Lebenszeitprävalenz von 0,16 bis 0,3 Prozent [Maarbjerk et al., 2017] eine häufige Form des Gesichtsschmerzes. Die Schmerzattacken treten meist streng einseitig auf und können mehrere Versorgungsgebiete des Nervus trigeminus betreffen. Überwiegend ist das Versorgungsgebiet des zweiten Trigeminusastes betroffen gefolgt von dem dritten, seltener der erste Trigeminusast [Sindou und Brinzeu, 2020]. Nicht jede Trigeminusneuralgie ist triggerbar, die Auslösbarkeit des Schmerzes durch Berührung, Kälte oder Essen und Trinken ist jedoch typisch. Entscheidender für die Diagnose sind das neuralgiforme, „stromschlagartige“ Auftreten und ein sekundenlanges bis hin zu zweiminütiges Anhalten der Attacken. Diese gehen mit einer sehr starken Schmerzintensität einher. Differenziert wird die „klassische TN“ mit Nerv-GefäßKontakt von der „idiopathischen TN“ ohne anatomisches Korrelat bei identischem klinischen Bild [Benoliel und Gaul, 2017]. Beide Formen sind von der „sekundären TN“ abzugrenzen, die auf eine Grunderkrankung, wie eine raumfordernde Läsion (Tumor des Kleinhirnbrückenwinkels oder eine AV-Malformation) oder Multiple Sklerose zurückgeführt wird. Zum Ausschluss einer symptomatischen Ursache wird leitliniengerecht eine hochauflösende cMRT-Bildgebung empfohlen [Bendtsen et al., 2019]. Die langfristige Therapieempfehlung gilt einer primär medikamentösen Therapie mit dem Antikonvulsivum Carbamazepin (100 mg 1–0–1) mit langsamer Dosissteigerung auf maximal 1.200 mg/Tag) als Substanz der ersten Wahl mit einem 90 Prozent initialen und 50 Prozent langfristigen Ansprechen [Förderreuther et al., 2012]. Alternativ kann Oxcarbazepin (300 mg 1–0–1) mit Dosissteigerung bis 900–1800 mg pro Tag eingesetzt werden. Gabapentin und Topiramat sind Mittel der zweiten Wahl, danach kommen etwa Kombinationen der oben genannten Substanzklassen infrage. Die invasive mikrovaskuläre Dekompression (nach Janetta) oder, in zweiter Wahl, neuroablative Verfahren des trigeminalen Ganglions werden in der Leitlinie nur bei konservativ nicht beherrschbaren Attacken der klassischen TN angestrebt. NEUROPATHISCHER GESICHTSSCHMERZ DES N. TRIGEMINUS Neuropathische Gesichtsschmerzen sind durch eine Läsion oder Dysfunktion der Hirnnerven definiert. Sie werden von Betroffenen oft als brennend, stechend und manchmal zusätzlich als attackenartig beschrieben. Typische neurologische Begleiterscheinungen sind Positivsymptome wie die Allodynie oder Dysästhesie sowie Negativsymptome wie der Hypästhesie oder Anästhesie im Schmerzbereich. Neuropathische Schmerzen können auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein. Dazu zählen unter anderem der HerpesZoster-assoziierte Trigeminusschmerz, die Post-Zoster-Neuralgie, sowie die im Fallbeispiel beschriebene PTTN, die hier näher vorgestellt wird [ICOP Committee, 2020]. PERSISTIERENDER POSTTRAUMATISCHER GESICHTSSCHMERZ Die im Fallbeispiel beschriebene PTTN ist definiert als ein ein- oder zweiseitiger andauernder Gesichtsschmerz nach Trauma des Nervus trigeminus. Die Trigeminusbeteiligung kann durch ein Trauma, eine Entzündung, Tumor oder durch operative Eingriffe entstehen. Wenn die Wundheilung des initialen Traumas abgeschlossen ist, entsteht der Schmerz leicht verzögert typischerweise innerhalb von sechs Monaten nach dem Trauma und persistiert länger als drei Monate. Die Schmerzen treten konstant auf, hin und wieder werden zusätzliche Paroxysmen beschrieben. Der Schmerzcharakter ist brennend, stechend oder drückend und kann eine hohe Schmerzstärke erreichen. Entscheidend für die Abgrenzung zu dem idiopathisch persistierenden Gesichtsschmerz (ICOP Klasse 6) sind die im Schmerzbereich objektivierbaren Positivsymptome und/oder Negativsymptome, die eben auf eine Nervenbeteiligung hinweisen [ICOP, 2020]. Besteht der Hinweis auf eine PTTN, sollte von invasiven Eingriffen im Schmerzgebiet bei fehlender Indikation eindeutig abgesehen werden. Operative Eingriffe zur Schmerztherapie können zwar vorübergehend Schmerzen lindern, ziehen oft aber eine Chronifizierung oder Ausbreitung der Schmerzen nach sich. DR. MED. KATHARINA BESCH Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtsschirurgie Martinistr. 52, 20251 Hamburg k.besch@uke.de Foto: privat DR. MED. SIMA DANESHKHAH Institut für Systemische Neurowissenschaften, Zentrum für Experimentelle Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistr. 52, 20251 Hamburg TITEL | 41

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