Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2193) Schwellung sollte die chirurgische Versorgung von Mittelgesichtsfrakturen innerhalb von ein- bis spätestens zwei Wochen nach dem Verletzungsereignis durchgeführt werden, um Komplikationen wie Pseudarthrosen oder Bruchspaltosteomyelitis vorzubeugen. Absolute Notfallindikationen stellen retrobulbäre Hämatome und die traumatische Optikusneuropathie (TON) mit Visusminderung dar. Diese erfordern eine sofortige Therapie, um das Risiko dauerhafter Erblindung zu minimieren [Kämmerer und Saka, 2019; Matheis und Kämmerer, 2021]. Zu den Indikationen, die eine frühe chirurgische Versorgung innerhalb von 24 bis 72 Stunden erfordern, zählen zudem die Inkarzerierung von Muskeln und Weichgewebe mit Auftreten von Doppelbildern, Defekte größer als 2 cm2, pädiatrische TrapDoor-Frakturen, ein Enophthalmus von mehr als 2 mm sowie ein persistierender okulokardialer Reflex [Aldekhayel et al., 2014; Maloney, 2014]. Zur Rekonstruktion knöcherner Orbitadefekte stehen neben humanen, autologen und allogenen auch xenogene Komponenten wie Knochenersatzmaterialien oder Kollagenmembranen zur Verfügung. Im Bereich alloplastischer Materialien lassen sich resorbierbare Kunststoffe von nichtresorbierbaren Produkten wie TitanMeshs und PSIs unterscheiden. Zur letztgenannten Gruppe zählt auch das im oben beschriebenen Fall verwendete patientenspezifische Titanimplantat. Indikationen für solche Implantate stellen große und komplexe Knochendefekte dar, die einer an die individuelle Defektsituation angepassten Rekonstruktion bedürfen. Vorteile einer Versorgung mit PSI sind die hohe Präzision und die Passgenauigkeit, die die OP- und Narkosezeiten signifikant verkürzen [Hartmann et al., 2022]. Auch das Auftreten postoperativer Komplikationen ist deutlich geringer, wodurch sich die Dauer der notwendigen Hospitalisierung bei Versorgungen mit PSI insgesamt verringern lässt [Zielinski et al., 2017]. Von Nachteil sind die höheren Kosten sowie die teils zeitaufwendige Planung und Fertigung, weswegen eine Anwendung bei primären Operationen, insbesondere bei Vorliegen entsprechender Notfallindikationen, nicht immer gewährleistet werden kann [Kozakiewicz et al., 2021]. Bei korrekter Indikationsstellung und Planung stellen Orbitarekonstruktionen mit individuell CAD/CAMangefertigten, patientenindividuellen Implantaten eine sichere, prognostisch gute und reproduzierbare Versorgung mit suffizienten funktionellen und ästhetischen Ergebnissen dar, die in jüngster Vergangenheit immer mehr an klinischer Relevanz gewonnen hat [Hartmann et al., 2022]. ! FAZIT FÜR DIE PRAXIS ! Im Rahmen von Mittelgesichtstraumata kommt es häufig zu Frakturen des knöchernen Orbitarings. ! Zur essenziellen Basisdiagnostik bei Verdacht auf Mittelgesichtsoder Orbitafraktur gehören eine präzise klinische Untersuchung und eine orientierende Prüfung von Visus und Bulbusmotilität. ! Auf Zeichen eines Schädel-HirnTraumas (Schwindel, Erbrechen, Amnesie) ist zu achten. Insbesondere bei antikoagulierten Patienten sollten intrakranielle Blutungen ausgeschlossen werden. ! Absolute Notfallindikationen stellen das retrobulbäre Hämatom und die traumatische Optikusneuropathie (TON) mit Visusminderung/-verlust dar. ! Nicht dislozierte Frakturen ohne klinische Beschwerden können konservativ unter Einhaltung schonender Kautelen versorgt werden. ! Bei großen und komplexen Knochendefekten bieten PSI eine adäquate Rekonstruktionsmöglichkeit und eine gute Prognose. UNIV.-PROF. DR. DR. PEER W. KÄMMERER, MA, FEBOMFS Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de Foto: privat Abb. 5: Das DVT postoperativ (sagittal) zeigt die regelhafte Anlagefläche kaudal. Abb. 6: DVT postoperativ (koronar) mit suffizienter Anlagefläche des PSI kaudal und medial Quelle: Peer Kämmerer Quelle: Peer Kämmerer ZAHNMEDIZIN | 59

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=