Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2199) Hat der Patient bereits eine Parodontitis entwickelt, sollten engmaschige Recallintervalle im Rahmen der UPT unbedingt eingehalten werden. Damit kann die von der Mundhöhle ausgehende, systemisch wirkende „Entzündungslast“ begrenzt werden. Die Wissenschaft wird nicht müde, auf die große Bedeutung der UPT in der PAR-Nachsorge hinzuweisen. Das müssen wir auch unseren Patienten stärker kommunizieren. Sollten Diabetespatienten generell öfter zum Zahnarzt gehen? Scheper: Ja, wir sollten das unterstützen. Vorstellbar wäre in meinen Augen, ein niederschwelliges Kontroll-Tool im Rahmen der regelmäßig stattfindenden DMP-Untersuchungen im Rahmen der Chronikerprogramme zu platzieren. Hier könnten Patienten beispielsweise mit entsprechenden Nachfragen – „Wann war Ihr letzter Termin in der Zahnarztpraxis?“ – auf die Möglichkeiten der Zahnmedizin aufmerksam gemacht werden. Dazu muss aber das Bewusstsein auch in der Politik und bei den Entscheidungsträgern im G-BA geweckt werden. Um dort die Sache voranzubringen, wäre eine Kampagne im Rahmen eines Pilotprojekts mit einem oder mehreren Kostenträgern denkbar. Ermler: Aus zahnmedizinischer Sicht muss die Festlegung der Kontrollintervalle für Diabetespatienten nach der individuellen Risikoeinschätzung erfolgen. Das gilt ja grundsätzlich für all unsere Patienten. Die Wissenschaft hat eine sehr klare und einfache Empfehlung formuliert: Jeder Diabetespatient sollte zum Zahnarzt überwiesen werden, wie auch umgekehrt die zahnärztliche Praxis ein Screening-Ort für Diabetiker sein sollte. Im Rahmen der zahnärztlichen Anamneseerhebung sollten Patienten mit Diabetes zum Diabetestyp, zur Dauer der Erkrankung, zu möglichen Diabetes-assoziierten Komplikationen, zur augenblicklichen Therapie sowie zur Blutzuckereinstellung befragt werden. Mithilfe des Parodontalen Screening Index (PSI) kann der Zahnarzt den Zustand des Zahnhalteapparats überprüfen. Eine Überweisung zum Zahnarzt oder Diabetologen ist aber derzeit nicht möglich. Wäre das eine Forderung an die Politik? Scheper: Ja, sicher ist das eine wichtige Forderung: Wir brauchen eine Art „sektorenübergreifender Überweisung“. Das wäre ein wichtiges Element für eine strukturierte Form der Kooperation zwischen Diabetologen und Zahnmedizinern, die ebenfalls geschaffen werden sollte. Es nützt ja in der Fläche nichts, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen im Einzelfall informell und gut engagieren – eine für alle Patienten gute Versorgung muss letztlich auch die Finanzierung der Kooperation regeln. Das hätte auch Einfluss auf die Früherkennung. Es gibt zahlreiche klinische Beispiele dafür, dass ein Diabetesverdacht in der Zahnarztpraxis in der Folge zu einer Diagnose beim Hausarzt geführt hat. Was halten Sie von einer Diabetesfrüherkennung in der Zahnarztpraxis, beispielsweise mit dem FINDRISK-Fragebogen? Scheper: Werkzeuge wie der FINDRISK-Bogen oder andere wären sicher gut geeignet, das Thema Begleiterkrankungen aus dem Bereich der Zahnheilkunde einzuarbeiten. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, den jetzigen FINDRISK-Bogen in der zahnmedizinischen Praxis auszulegen und/oder Patientinnen und Patienten mit gegebenenfalls verdächtigen Problemen auf diesen Bogen zu verweisen. Ob es dann zu einer gezielten Überweisung kommen kann, ist eine Frage, die im Bereich der Entscheidungsträger im Gesundheitswesen entschieden werden muss. Aber solange es diese gezielte Überweisungsmöglichkeit nicht gibt, spricht ja nichts dagegen, den Patienten mit einer entsprechenden Fragestellung zum Hausarzt oder zum Diabetologen zu schicken. Die zur Diagnose erforderlichen Blutuntersuchungen sollten aber grundsätzlich dem Hausarzt vorbehalten bleiben. Ermler: Ja, ich denke, auch vor dem Hintergrund der Früherkennung ist die Einrichtung einer strukturierten Zusammenarbeit über die Fachdisziplinen hinweg dringend geboten, denn das Problem wird ja tendenziell größer und nicht kleiner. Perspektivisch werden in einer alternden Gesellschaft die Interaktionen zwischen Parodontitis und Erkrankungen des Gesamtorganismus zwangsläufig eine größere Rolle spielen und insgesamt mehr interdisziplinäre Versorgung nötig machen. \ Das Gespräch führte Benn Roolf. Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) haben im aktuellen „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2023“ einen Beitrag publiziert, der diese Aspekte weiter vertieft: https://www.ddg. info/politik/veroeffentlichungen/ gesundheitsberich BZÄK KOOPERIERT MIT DIABETOLOGEN Rund 8,5 Millionen Menschen sind an Diabetes mellitus erkrankt; 35 Millionen Menschen haben eine Parodontitis, 10 Millionen davon mit schwerem Verlauf. Dabei können Diabetiker ein dreifach erhöhtes Risiko für eine Parodontitis haben. Etwa 75 Prozent von ihnen leiden unter Entzündungen an der Mundschleimhaut, ein Drittel von ihnen ist von einer schweren Parodontitis betroffen. Durch gemeinsame Aufklärung wollen die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Bundesverband der Niedergelassenen Diabetologen (BVND) Patienten über die beiden Volkskrankheiten informieren. Erreicht werden sollen besonders die Menschen, die aufgrund ihrer Vorerkrankungen höheren Risiken ausgesetzt sind. Die BZÄK hat ihre Kampagne bereits im März gestartet. Die Info-Materialien stehen hier zum Download bereit: https://paro-check.de/download. ZAHNMEDIZIN | 65

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