Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm112, Nr. 23-24, 1.12.2022, (2256) AUSWIRKUNGEN VON CORONA AUF DIE PRÄVENTION Wir brauchen mehr Dental Public Health Dietmar Oesterreich Die COVID-19-Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auf die (Mund-)Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gezeigt. Was in der Versorgung nottut, sind verbesserte Präventionsstrukturen und ein konsequenter Setting-Ansatz. Wichtig für die Zukunft sind nicht nur individuelle Krankheitsstrategien, sondern die Stärkung der bevölkerungsbezogenen Perspektive – und damit des Bereichs von Dental Public Health. Hier herrscht in Deutschland Nachholbedarf. Auch wenn gegenwärtig welt- und energiepolitische Herausforderungen in der Öffentlichkeit im Vordergrund stehen – für Zahnärzte gilt es nach fast drei Jahren Corona die Auswirkungen der Pandemie auf die Mundgesundheit und das Gesundheitssystem in den Blick zu nehmen. Nicht erst nach den jüngsten Eingeständnissen der Politik ist deutlich geworden, dass zahlreiche Probleme in diesen Bereichen (auch) die Folgen der politischen Entscheidungen sind. Kinder und Jugendliche waren von der Pandemie besonders betroffen – vor allem durch die Schließungen und die erheblichen Einschränkungen in Kindertagesstätten und Schulen. Neben den Folgen für die individuelle Gesundheit und Mundgesundheit sind – parallel dazu – auch die Auswirkungen auf die Präventionsstrukturen erheblich. VOR DER PANDEMIE WAR VIELES GUT Der Blick zurück auf die Entwicklung der Prophylaxekonzepte in Deutschland: Bekanntlich haben sich die präventiven Aktivitäten in der Zahnheilkunde mit Einführung der Gruppenprophylaxe im Jahr 1989 und der Individualprophylaxe (einschließlich der Fissurenversiegelung im Jahr 1993) sehr erfolgreich auf die Verbesserung der Mundgesundheit von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt. Gab es anfänglich noch intensive Auseinandersetzungen, welche Maßnahmen effektiver und effizienter sind, so wuchs mit der Zunahme der Erfolge eine sinnvolle Synergie beider Präventionsebenen. Gleichzeitig nahm auf Bevölkerungsebene der Gebrauch von fluoridhaltigen Zahnpasten deutlich zu und die Dental Awareness entwickelte sich erfreulich positiv. Im Ergebnis hat sich die Mundgesundheit in allen Altersgruppen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, signifikant verbessert. Über 80 Prozent der 12-jährigen Jugendlichen sind heute kariesfrei [IDZ, 2016]. Leider ging diese Entwicklung im bleibenden Gebiss nicht mit einem Rückgang der Karies im Milchgebiss einher. Letztmalig im Jahr 2016 ermittelt, stagniert heute der Kariesrückgang im Milchgebiss [DAJ, 2017]. Diese bereits 2009 festgestellte Entwicklung führte dazu, dass die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege e. V. (DAJ) 2012 damit begann, einen besonderen Fokus in der Gruppenprophylaxe auf die Altersgruppe 0 bis 6 Jahre zu legen. Im Jahr 2016 publizierte die DAJ die erweiterten Empfehlungen „Frühkindliche Karies: Zentrale Inhalte der Gruppenprophylaxe für unter dreijährige Kinder“ [DAJ, 2016]. Dabei wurde die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Erzieherinnen und Erziehern und dem Gruppenprophylaxepersonal als notwendig herausgearbeitet. 2018 haben die Teilnehmer eines Symposiums zur Auswertung der epidemiologischen DAJ-Begleituntersuchung zur Gruppenprophylaxe 2016 festgestellt, dass die tägliche Mundhygiene in den Kitas von zentraler Bedeutung ist [DAJ, 2018]. Auf Grundlage kindheitswissenschaftlicher Erkenntnisse und der Rolle von Bezugspersonen in der Lebensphase bis zu drei Jahren hatten sie als zukünftige Richtschnur für die Maßnahmen der Gruppenprophylaxe das Motto „von der Gruppenprophylaxe in der Kita – zur Gruppenprophylaxe mit der Kita“ postuliert. Auch der Gesetzgeber wurde aktiv. Gesetzgeberische Maßnahmen für die zahnärztlichen Praxen konzentrierten sich – auf Basis eines gemeinsam von Wissenschaft, Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) getragenen Konzepts zur zahnmedizinischen Prävention bei Kleinkindern („Frühkindliche Karies vermeiden“) – auf die Einführung von Früherkennungsuntersuchungen bei den 0- bis 3-Jährigen. Diese sind seit dem 1. Juli 2019 in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) etabliert [KZBV/BZÄK, 2014; BAnzAT, 2019]. Auch hier wurde erkannt, dass eine verPROF. DR. DIETMAR OESTERREICH Langjähriger Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ), Honorarprofessor für Orale Prävention und Versorgungsforschung an der Universität Greifswald Foto: axentis.de 14 | TITEL

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