zm112, Nr. 23-24, 1.12.2022, (2300) terien), Viren, Megaviren (nahezu so groß wie Bakterien), Pilze, Protozoen und Mikroalgen. Er führte aus, dass unsere Vorstellung vom Mikrobiom maßgeblich von wissenschaftlichen Methoden geprägt sei. Im Laufe der Jahre habe sich diese durch neue Erkenntnisse jedoch immer weiter gewandelt. Dörfer beschrieb das Mikrobiom als essenziellen Bestandteil unseres Organismus. In der Mundhöhle sei es planktonisch, während es sich auf Oberflächen als Biofilm organisiere. Die Bildung des Mikrobioms werde vermutlich durch den Geburtsvorgang initiiert und durch das Stillen beeinflusst. Hauptübertragungsweg sei die Hand des Babys, erklärte Dörfer. Veränderungen des Mikrobioms könnten unter anderem durch Zahnwechsel und die Pubertät beeinflusst werden. Als junger Erwachsener bestehe dann ein personalisiertes und weitestgehend stabiles Mikrobiom, das unter anderem durch Rauchen, Lebensstil, Erkrankungen sowie das soziale Umfeld determiniert werde. Biofilmkontrolle kann Mikrobiom nachhaltig modifizieren Dörfer erläuterte, dass das orale Mikrobiom grundsätzlich sehr resilient gegenüber kurzfristigen Veränderungen sei. Nachhaltige Änderungen könnten nur durch langfristig modifizierte Rahmenbedingungen hervorgerufen werden. Die Resilienz des oralen Mikrobioms werde unter anderem durch Sulkusflüssigkeit, Speichel, die Ernährung, das Immunsystem sowie die mechanische Mundhygiene beeinflusst. Letztere sei die beste, nachhaltigste und nebenwirkungsärmste Methode, das gesamte Mikrobiom durch Reduktion der Masse maßgeblich und nachhaltig zu modifizieren. Veränderungen im Mikrobiom verlaufen schleichend. Nahrung könne nur Einfluss auf das Mikrobiom nehmen, wenn es im Speichel zu einer Anreicherung von Wirkstoffen kommt. Eine nitratreiche Ernährung wirke sich positiv auf den Biofilm aus, bei Probiotika sei die Evidenzlage aktuell eher diffus, erklärte Dörfer. Negative Treiber seien größere Kohlenhydrat-Mengen sowie weitere Faktoren, die eine Anfälligkeit für Parodontitis begünstigen. Ein reduzierter Speichelfluss und langfristige Entzündungen – einhergehend mit morphologischen Veränderungen – gehörten zu den entschiedensten Faktoren für nachhaltige Veränderungen des Mikrobioms. Hinzu komme der Einfluss des Rauchens und der Blutzuckerspiegel. Das Mikrobiom könne sich sowohl bei systemischen Erkrankungen als auch unter Medikationen verändern. Dörfer berichtete, dass vor allem Stoffwechsel-Erkrankungen wie Diabetes mellitus diskutiert werden sowie alle Erkrankungen und Medikationen, die Einfluss auf das Immunsystem haben. Karies und Parodontitis seien mit Veränderungen des Mikrobioms verbunden, obgleich die Kausalität noch ungeklärt sei. Die Frage danach hält Dörfer allerdings auch nicht für zielführend. Hier liege eine Feedbackschleife vor, in der sich die Entitäten gegenseitig hochschaukeln würden. Im Mund nimmt die Vielfalt bei Erkrankung zu Dörfer berichtete, dass bei oralen Erkrankungen nicht nur die Vielfalt des oralen Mikrobioms, sondern gleichzeitig auch die Interaktion zwischen Bakterienspezies in Umfang und Komplexität zunehme. Dies sei überraschend, da sonst alle Informationen darauf hinweisen, dass bei Erkrankungen die Vielfalt des Mikrobioms abnehme. Ökosysteme stünden bei einer Abnahme der Diversität grundsätzlich schlecht da, denn durch Veränderung gehe Stabilität verloren. Warum es dennoch im Mund zu einer zunehmenden Vielfalt kommt, bleibe aktuell Spekulation. Das Mikrobiom beeinflusse die oralen Erkrankungen und umgekehrt die Erkrankungen das orale Mikrobiom. Dörfer erklärte, der Virulenz der einzelnen Bakterien komme keine so entscheidende Rolle zu wie einst geglaubt. Deren Aktion im Gesamtkontext und dessen Veränderung seien entscheidender für den Verlauf einer Erkrankung. Auch bei Karies gebe es eine höhere Diversität bei hohem Erkrankungsrisiko. Bei Beseitigung von (Mikro-) Nischen werde auch Einfluss auf das Mikrobiom genommen. Eine Beteiligung des oralen Mikrobioms werde überdies auch bei Mundschleimhauterkrankungen wie beispielsweise beim oralen Lichen planus oder bei oralen Karzinomen vermutet. Das orale Mikrobiom stehe erwiesenermaßen im Austausch mit dem Darmmikrobiom. Das Darmmikrobiom werde auch mit neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht und man vermute, dass auch das orale Mikrobiom dabei eine gewisse Rolle spielt. Wenn das orale Mikrobiom mit dem Organismus im Sinne einer Symbiose agiert, dann bestehe im Idealfall die Chance, dieses auch über die Mundhöhle zu beeinflussen. Über beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren bestehe dann aber auch die Gefahr des Entstehens einer Dysbiose und damit der Startpunkt einer pathogenen Feedback-Schleife. Über beeinflussbare Risikofaktoren könne versucht werden, wieder eine Symbiose zu erwirken, resümierte Dörfer. Dabei funktionierten unspezifische Ansätze scheinbar am besten. Dazu gehöre vor allem die mechanische Biofilm-Kontrolle, aber auch die Rauchentwöhnung und die Diabeteskontrolle. nl/br Den Staffelstab übergeben – DGZMK-Präsident Dr. Dr. Jörg Wiltfang (links) dankt Past-Präsident Prof. Dr. Roland Frankenberger Quelle: Quintessenz Verlag 58 | ZAHNMEDIZIN
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=