Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 3

zm Nr. 03, 01.02.2023, (111) TITEL | 17 Die Karieshäufigkeit in der Stichprobe betrug etwa zehn Prozent (n = 59/597), der mittlere dmf-t-Index ± SD (Standardabweichung) lag bei 0,27 ± 1,1. Fast alle Kinder (95 Prozent) wurden wenigstens kurzzeitig gestillt. Die Dauer des ausschließlichen/partiellen Stillens (± SD) betrug im Mittel 4,5 ± 4,7 beziehungsweise 9,3 ± 7,7 Monate. Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus wurden signifikant kürzer gestillt (1,2 Monate weniger für ausschließliches und 3,3 Monate für partielles Stillen, p < 0,05). Mundhygiene, Sozialstatus und Alter des Kindes sind wichtig In den bivariaten Analysen ergab sich ein Schutz vor Karies bei einer Stilldauer von sechs bis zwölf Monaten (Abbildung 1), in den multivariablen Analysen spielte Stillen aber keine Rolle mehr, hier waren Plaque (Odds Ratio [OR] = 9,8: 95%-Konfidenzintervall [KI]; 5,1-18,8), niedriger Sozialstatus (OR = 2,3; 95%-KI: 1,0-5,3) sowie Alter (OR = 2,0 pro Jahr; 95%-KI: 1,5-2,6) signifikante Einflussfaktoren. Ein kieferorthopädischer Befund oder ein erhöhter BMI-Wert hatten keinen Einfluss auf die Kariesentwicklung. Schlussfolgernd ergibt sich aus dieser Studie, dass schlechte Mundhygiene, niedriger Sozialstatus und das Alter des Kindes Risikofaktoren für ECC sind. Die Dauer von ausschließlichem/partiellem Stillen beeinflusste dagegen das Vorkommen von kavitierender Karies in der untersuchten Kohorte nicht signifikant. Eine Risikoerhöhung für Karies imRahmen des physiologischen Stillens bis zwölf Monate konnte zudem definitiv ausgeschlossen werden. Problematisch ist bei all solchen Erhebungen sowie im Praxisalltag, dass die sogenannte Stillkaries als solche nicht verifiziert werden kann, da sie sich von „normaler“ Karies klinisch oder histologisch nicht unterscheidet. Für die Plaquebakterien ist es unerheblich, ob die Kohlenhydrate aus der Milch oder einer anderen Quelle stammen. Es bleibt am Ende die Analyse der Anamnese und des Gesundheitsverhaltens, ob die bei dem jeweiligen Kind vorhandene Karies partiell auch auf ungünstige Stillgewohnheiten zurückgeführt werden kann. Fasst man die vorliegende Literatur zusammen, können folgende Empfehlungen zur Vermeidung zahnschädigender Stillgewohnheiten formuliert werden: „ Vom Stillen über zwölf Monate ist nicht per se abzuraten, es muss aber eine Aufklärung der Eltern (Mütter) über den – auch kariogen wirksamen – Kohlenhydratanteil in der Milch erfolgen. „ Stillen zur Nahrungsaufnahme ist aus kariologischer Sicht unbedenklich, auf das richtige Anlegen des Kindes sollte dabei geachtet werden. „ Ab dem ersten Milchzahn muss mit fluoridhaltiger Zahnpasta geputzt werden. „ Auf eine Kombination aus Flasche/ Stillen sollte bei Kleinkindern älter als zwölf Monate möglichst verzichtet werden. Dem Kind sollten Eltern nachts Wasser oder ungesüßten Tee anbieten, denn hier kann häufiges Stillen ad libidum bei gleichzeitig fehlender Mundhygiene beziehungsweise fehlender Fluoridierung das Kariesrisiko stark erhöhen. „ Zahnärztliche Kontrollen zur Früherkennung sollten ab dem ersten Milchzahn und dann regelmäßig in Anspruch genommen werden. „ Es sollte keine Aufnahme von Schadstoffen während der Stillzeit erfolgen, weil diese anteilig über die Milch an das Kind abgegeben werden. Das gilt auch für Zucker! Aus zahnärztlicher Sicht sollte also grundsätzlich zum Stillen geraten werden, auch über den zwölften Lebensmonat hinaus. Ab diesem Alter werden die möglichen Effekte des Stillens auf das Kariesrisiko von anderen Faktoren wie SES, Mundhygiene- oder Ernährungsverhalten stark überlagert. Über die Problematik des Schadstoffgehalts in der Milch gibt es derzeit zu wenige Kenntnisse. Das perinatal gebildete Dentin der Milchzähne, die nach Exfoliation auswertbar sind, kann hier neue Erkenntnisse darüber bringen, welchen Umweltbelastungen Kinder prä-, peri- und postnatal ausgesetzt sind [Yu et al. 2021]. Dieser Artikel ist eine Kurzfassung nach: Kuminek F, Kiess W, Körner A, Hirsch C, Wagner Y: Zusammenhang zwischen Stilldauer und Early Childhood Caries. Oralprophylaxe Kinderzahnheilkd 2021; 43: 40–48. Prof. Dr. MSc Christian Hirsch, Universitätsklinikum Leipzig AöR, Department für Kopf- und Zahnmedizin Poliklinik für Kinderzahnheilkunde und Primärprophylaxe Liebigstr. 10–14, Haus 1, 04103 Leipzig christian.hirsch@medizin.uni-leipzig.de Foto: Stefan Straube Abb. 1: Vergleich des Kariesindex (dmf-t) mit Kategorien der Dauer von partiellem Stillen; Quelle: F. Kuminek

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