Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 3

zm Nr. 03, 01.02.2023, (117) GESELLSCHAFT | 23 als zum Beispiel die Genitalien, die Psyche oder das Skelett“ [Kuhlmann, 1999, 13]. Ein Blick in die Geschichte bestätigt dies jedoch nicht: Die im 19. Jahrhundert chirurgische, wundärztliche und handwerkliche Ausbildung der Zahnreißer oder Zahnbrecher war in der Praxis männlich geprägt: Dentisten und auch die sich etablierenden Zahnärzte waren überwiegend Männer [Groß, 1999, S. 63; Groß, 2018, 63; Krischel/Nebe, 2022, 66]. In der Folge sollte es die Kurierfreiheit von 1869 sein, die den Frauen die außeruniversitäre Möglichkeit eröffnete, die Berechtigung zur Ausübung der (Zahn-)Heilkunde zu erlangen [Groß, 2005, 815; Krischel/Nebe, 2022, S. 66-71]. So waren mit der Liberalisierung der Heilkunde die in den deutschen Staaten geltenden Ausbildungsvorschriften zur Ausübung der Heilberufe so minimiert worden, „daß sie trotz der geschlechtsspezifischen Begrenzung der Bildungsangebote auch von Frauen erfüllt werden konnten“ [Zitat: Kuhlmann, 1999, 72; Krischel/ Nebe, 2022, 69]. VondenneuenMöglichkeitenmachten Frauen tatsächlich Gebrauch: Betrug 1898 der Frauenanteil unter den nichtapprobierten Zahnbehandlern nur 4,2 Prozent, stieg er bis 1928 auf über 11 Prozent an [Kuhlmann 1999, 72]. Der Weg an die deutschen Universitäten blieb für sie aber bis zur Wende im 20. Jahrhundert noch versperrt. Zum Studieren ging es in die Schweiz – oder in die USA EineMöglichkeit für Frauen, die (zahn-) ärztliche Approbation zu erlangen, war das Auslandsstudium [Groß, 2016]. Dabei lassen sich im Wesentlichen zwei Strategien unterscheiden: In der Medizin führte der Weg der studierwilligen Frauen in der Regel in die Schweiz, hatte die Universität Zürich doch ab den 1840er-Jahren ihre Pforten für Hörerinnen geöffnet [Maurer 2010, 10; Nebe 2023]. Nadeshda Suslowa (1843–1918], eine gebürtige Petersburgerin, sollte 1867 die erste sein, die dort erfolgreich im Fach Medizin promovierte wurde [Rogger/Bankowski 2010, 27]. Die liberale Haltung der Schweizer Universitäten hatte dabei verschiedene Ursachen. So wies man auf der einen Seite der universitären Ausbildung einen eher geringen Stellenwert zu. Auf der anderen Seite waren die Universitäten zur Eigensicherung auf zusätzliche Studiengebühren angewiesen; der Gewinn neuer Studierender war somit obligatorisch. Dabei stand es den jeweiligen Hochschulen frei, ob sie die Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium unterstützten oder nicht. So ließ die Universität Basel, die älteste Universität der Schweiz, Frauen beispielsweise erst ab 1890 zum Studium zu [Maurer, 2010, 14-15]. Für die Zahnmedizin bot vor allem das Studium in den USA einen Einstieg ins akademische Fach. Dort waren im Unterschied zum Deutschen Reich die Professionalisierung und die Akademisierung der US-amerikanischen Zahnärzteschaft bereits weit vorangeschritten und es kam schon in den 1840erJahren zur Bildung der weltweit ersten zahnärztlichen Ausbildungsstätten [Krischel/Nebe, 2022, 69]. Die erste deutsche Frau, die diesen beschwerlichen und kostspieligen Weg erfolgreich beschreiten sollte, war die noch heute bekannte Zahnmedizinerin Henriette Hirschfeld (geb. Pagelsen), die später unter dem Doppelnamen Tiburtius-Hirschfeld firmierte. Während die deutsche Zahnmedizin noch um ihre Professionalisierung bemüht war, erlangte Hirschfeld 1869 am Pennsylvania College of Dental Surgery als zweite Frau überhaupt in den Vereinigten Staaten den „Doctor of Dental Surgery“ [Kuhlmann, 1999, 73; Committee on Historical Research, 1928, 1740ff]. Zuvor war dies lediglich der Amerikanerin Lucy Hobbs Taylor (1833-1910), am Dental College in Cincinnati (Ohio) gelungen [Edwards, 1951, 279]. Für die Zulassung waren Fürsprecher nötig Hirschfelds Zulassung war zunächst abgelehnt worden. Dass sie dennoch aufgenommen wurde, verdankte sie der Fürsprache von James Truman, auch als „Vater der Zahnheilkunde“ [ James Truman's Letter, 1893] bekannt. Hirschfeld, die sich noch im Examensjahr mit behördlicher Genehmigung in Berlin in einer Parallelstraße zur Straße Unter den Linden als Zahnärztin für Kinder und Frauen niederließ, kammit ihremWerdegang zweifelsfrei eine Pionierfunktion zu [Groß, 2018, 66]. Bis 1881 folgten etwa 20 weitere Ausländerinnen diesem Vorbild und absolvierten ebenfalls ein zahnmedizinisches Studium in den USA, ein Dutzend davon stammte aus Deutschland. Ein Trend, der sich bis zur Zulassung von Frauen an deutschenUniversitäten fortsetzten sollte [von Bremen, 2015, 144]. Heute erinnert der vom „Verband der ZahnÄrztinnen – Dentista“ ausgelobte Hirschfeld-Tibertius-Preis an die Pionierin. Den im Ausland approbierten Frauen (und Männern) begegnete man in Deutschland aber auch mit Misstrauen. Dies lag teils an der geringen Akzeptanz des „Doctor of Dental Surgery“, der in den USA bereits seit 1841 erworben werden konnte [Groß, 2006, 189; Groß, 1994,187-196; Krischel/Nebe, 2022, 69]. Da bis 1919 ein Äquivalent im Deutschen Reich fehlte, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der amerikanische Doktortitel für deutsche Zahnärzte derart attraktiv, dass Dr. Matthis Krischel, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf Foto: privat M.A. Julia Nebe, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf Foto: privat

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