Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 3

zm Nr. 03, 01.02.2023, (167) ZAHNMEDIZIN | 73 kappung häufiger zu Pulpanekrosen kommt als nach Pulpotomien [Hecova et al., 2010; Wang et al., 2017]. Daher empfiehlt eine aktuelle systematische Literaturübersicht bei traumatischen Pulpaeröffnungen bevorzugt eine Pulpotomie [Donnelly et al., 2022]. Die Besonderheit des vorliegenden Falles ergab sich aus der Kombination von Wurzelquerfraktur und komplexer Kronenfraktur. Die Entscheidung für den Vitalerhalt des Zahnes wurde mit mehreren Faktoren begründet. Dabei spielten vor allen Dingen die kurze Expositionszeit der Pulpa mit der Mundhöhle (< 1 Stunde) und die vermutlich ununterbrochene Gefäßversorgung des Zahnes durch eine geringe koronale Dislokation des Fraktursegments eine Rolle [Andreasen et al., 2004]. Studien konnten zeigen, dass die Erfolgsrate für einen Vitalerhalt der Pulpa von bleibenden und Milchzähnen mit komplexer Kronenfraktur nach partieller oder vollständiger Pulpotomie zwischen 75,0 und 96,7 Prozent liegen kann [Donnelly et al., 2022]. Der Vitalerhalt sollte jedoch nicht nur bei Zähnen mit inkomplettem Wurzelwachstum mit dem Ziel der weiteren Wurzelreifung angestrebt, sondern auch bei ausgereiften Zähnen favorisiert werden [Tzanetakis et al., 2022]. Zähne mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum sind laut Studienlage [Cvek, 1992; Andreasen et al., 2002] besonders anfällig für Wurzelfrakturen, da die Dentinwände entsprechend dünner und somit weniger frakturresistent sind [Duggal et al., 2017]. Doch auch ausgereifte Zähne junger Patienten können durch einen Vitalerhalt und einer damit einhergehenden Apposition von Sekundär- und Tertiärdentin im zervikalen Abschnitt der Wurzel vor späteren Wurzelfrakturen geschützt werden [Donnelly et al., 2022]. Bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum kann durch die Vitalerhaltung die Propriozeption gesichert und die Zahnhartsubstanz geschont werden, wodurch das Risiko für Längsfrakturen reduziert wird [Khasnis et al., 2014]. Im vorliegenden Fall wurde die Heilung der Wurzelquerfraktur durch die Schienungsdauer von vier Wochen unterstützt. Bereits nach zwei bis drei Wochen — mit Ausheilung des Parodontiums—war hierbei eine Primärstabilität zu erwarten [Mandel and Viidik, 1989]. Laut Studienlage ist eine längere Schienungsdauer nur dann empfehlenswert, wenn das koronale Fragment stark gelockert oder disloziert ist [Andreasen et al., 2004]. Da in diesen Fällen häufig die Funktion des Parodontiums gestört ist, wird eine Ausheilung durch Hartgewebsbildung im Sinne einer Dentin- und Wurzelzementapposition im Frakturspalt angestrebt [Andreasen et al., 2004], die nachweislich von einer längeren Schienungsdauer profitiert [Isaksson et al., 2021]. Hydraulische Kalziumsilikatzemente eignen sich aufgrund ihrer Materialeigenschaften und sehr guten Biokompatibilität für die Vitalerhaltung [Parirokh und Torabinejad, 2010]. Als Nachteile sind hingegen eine lange Abbindezeit, hohe Kosten und ein allgemein erschwertes Handling [Parirokh und Torabinejad, 2010; Tanalp et al., 2012] zu nennen. Bei der Verwendung von Kalziumsilikatzementen mit Bismutoxid als Röntgenkontrastmittel wurden häufig Zahnverfärbungen beschrieben [Abuelniel et al., 2020]. Durch die Verwendung eines Materials mit einemZirkonoxid-Kontrastmittel (wie in diesem Fall mit Biodentine) kann das Risiko einer Zahnverfärbung reduziert werden [Camilleri, 2014; Marciano et al., 2015]. Wie sowohl in vivo als auch in vitro gezeigt werden konnte [Katge und Patil, 2017; Kim et al., 2016], sind hydraulische Kalziumsilikatzemente in der Lage, die Bildung von Zahnhartgewebe durch die Anregung der Zellproliferation und durch eine Erhöhung enzymatischer Aktivität [Luo et al., 2014] zu induzieren. Die dabei entstehende Dentinbrücke wird als ein Indikator für den Erfolg der Pulpotomie und den Funktionserhalt der Pulpa angesehen [Katge und Patil, 2017]. Im vorliegenden Fall konnte dieses Phänomen radiologisch schon nach kurzer Zeit nachgewiesen werden. Dies ist kongruent mit einer anderen Studie, laut der sich nach der Anwendung von Biodentine nach einer vollständigen Pulpotomie eine signifikant dickere Dentinbrücke als bei der Verwendung eines Kalizumhydroxidpräparats bildete [Grewal et al., 2016]. Die Erstversorgung durch eine Pulpotomie mit anschließender Schienung stellte in diesem Fall trotz einer Kombination aus Kronen- und Wurzelfraktur eine zuverlässige Methode für den Vitalerhalt dar. So konnte die Wurzelquerfraktur ausheilen und durch eine direkte Kompositrestauration konnten die Ästhetik sowie die Funktionalität des Zahnes rehabilitiert werden. ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Abbildung 7: Klinische Kontrolluntersuchung ein Jahr nach dem Unfall Foto: Esra Koşan

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=